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Das unbekannte Vorbild

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Vor genau 70 Jahren trafen sich in der österreichischen Frei hafenstadt Triest zwei berühmte Autoren. Der eine war Ire 24 Jahre alt, erst vor einem Jahr nach Triest zugezogen. Er hatt» ein Jahr vorher geheiratet, ging mit Frau Nora über Zürich nacl Pola und wollte in Triest Englisch unterrichten. Dort lernte ei den Sohn eines Kaufmannes aus rheinischer Familie kennen, dei aus seiner Lehrzeit bei Würzburg deutsche Kenntnisse mit nacl Triest brachte. Er hieß Ettore Schmitz und war zwanzig Jahr« älter als der Ire James Joyce. Beide versuchen sich in Romanen Schmitz schreibt psychologisierende Prosa mit stark autobio graphischen Zügen und wird zwar gar nicht in seinem italieni sehen Heimatland bekannt, aber bestärkt durch Joyce: Er ander seinen Namen in Italo Svevo (und nach seinen Romanen werdei jetzt oft Fernseh-Spiele gedreht). Nach dem Ruin des Vaters ver dient er sein Geld als Bankangestellter.

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Vor genau 70 Jahren trafen sich in der österreichischen Frei hafenstadt Triest zwei berühmte Autoren. Der eine war Ire 24 Jahre alt, erst vor einem Jahr nach Triest zugezogen. Er hatt» ein Jahr vorher geheiratet, ging mit Frau Nora über Zürich nacl Pola und wollte in Triest Englisch unterrichten. Dort lernte ei den Sohn eines Kaufmannes aus rheinischer Familie kennen, dei aus seiner Lehrzeit bei Würzburg deutsche Kenntnisse mit nacl Triest brachte. Er hieß Ettore Schmitz und war zwanzig Jahr« älter als der Ire James Joyce. Beide versuchen sich in Romanen Schmitz schreibt psychologisierende Prosa mit stark autobio graphischen Zügen und wird zwar gar nicht in seinem italieni sehen Heimatland bekannt, aber bestärkt durch Joyce: Er ander seinen Namen in Italo Svevo (und nach seinen Romanen werdei jetzt oft Fernseh-Spiele gedreht). Nach dem Ruin des Vaters ver dient er sein Geld als Bankangestellter.

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Auch Joyce ist nicht sehr erfolgreich. Zwar blitzt in seinem Gehirn bereits 1906 die, Idee zu seinem Roman „Ulysses“ auf, aber es dauert viele Jahre, bevor er wirklich beginnt und den Roman drucken lassen kann. Inzwischen übersetzt er Englisches ins Italienische und will in der Ber-litz-School in Triest Englisch lehren. Aber sein Diplom, das er von der Universität in Padua anstrebt, bekommt er nicht, weil seine irischen Abschlußzeugnisse nicht den italienischen Anforderungen entsprechen. Joyce muß Geld verdienen, für Frau und zwei aufwachsende Kinder. In der irischen Heimat gärt es, in Mitteleuropa beginnt der Erste Weltkrieg, Joyce ist in Österreich Ausländer, gibt sein Ehrenwort, Triest nicht zu verlassen. Aber 1915 zieht er nach Zürich, denn vom nahen Isonzo hört man Kanonendonner, Italien ist im Krieg! 1918 erscheinen Auszüge aus seinem „Ulysses“-Manuskript, Joyce kehrt vorübergehend nach Triest zurück, läßt sich jedoch in Paris nieder, wo 1922 sein Roman im Verlag „Shakespeare & Cie“, der von Sylvia Beach geleitet wird, erscheint. Die Hauptgestalt heißt Leopold Bloom, ist eine Art Ewiger Jude, der durch seine irische Heimatstadt irrt; der Roman wird 1927 ins Deutsche übersetzt. Joyce wird berühmt, stirbt 1941 in Zürich, wohin er von Paris geflüchtet ist; Italo Svevo aber war bereits 1928 in Triest gestorben. 0

Italo Svevo wird im „Lexikon des Judentums“ als Jude geführt, andere behaupten, daß er nur Halbjude war. Aber dies genügt, damit ihn die Literaturhistoriker wegen seines Judentums zum Vorbild der Roman-Figur Leopold Bloom machen. Mir hat das keine Ruhe gelassen. Ich arbeitete bis 1939 in der Prager Direktion der Riunione Adriatica di Sicurtä, die ihren Hauptsitz in Triest hatte, und kannte einige Vertreter der jüdischen Intelligenz-Schichte in Triest. Durch meinen Direktor und auch den Generaldirektor in Triest. Viele von ihnen waren Juden, die sich ihren Namen italianisieren ließen und weiterhin für die Verbindung des Freihafens Italiens, der ja sein industrielles Zuliefergebiet aus der österreichischen Monarchie verloren hatte, arbeiteten. Die meisten Spediteurfirmen, wie Parisi und Schenker, hatten weiterhin Filialen in Prag und Triest, und auch eine kleinere, deren Versicherungsbordereaux und Havariezertifikate durch meine Hände gingen, wenn ich die Post verteilte. ♦

Von dieser kleineren Firma residierte der eine Kompagnon in Prag, der andere in Triest. Letzterer hieß Leopold Popper, aus böhmischer Judenfamilie, reich geworden, so daß er sich in Triest eine 16zim-merige Villa leisten konnte. Seine Tochter Amalia lernte privat bei James Joyce Englisch. Mein Forschungsglück war mir hold, mich interessierte doch, wieso der Ire aul den mir für einen englischen Roman ungewöhnlichen Namen Leopold gekommen war. Ich wurde mit einer Verwandten Poppers bekannt, die heute in den USA Tschechisch und Deutsch an einem College unterrichtet. Sie heißt Wilma Iggers, ist aber eine geborene Abeles aus Böhmen mit Herrn Leopold Popper verwandt und über seine Verhältnisse informiert. Onkel Leopolds Tochter Amalia muß das Interesse des Englisch-

Lehrers erweckt haben, er schrieb Gedichte über sie, die nach seinem Tod gefunden wurden. Da er sehr musikalisch war — wie Leopold und James Joyce —, ergaben sich gesellschaftliche Berührungspunkte. Joyce wurde zu Hauskonzerten eingeladen, kam immer ohne Frau, und rasch zusammengestellte Quartette ließen Onkel Leopold und James Joyce ihre Instrumente in der gastfreundlichen Villa stimmen. Man verkehrte auch außerhalb der Privatstunden miteinander. Amalia heiratete später einen

italienischen Universitätsprofessor und suchte bei James Joyce an, ob sie seinen Roman „Ulysses“ ins Italienische übersetzen dürfe. Die Bewilligung wurde gegeben.

Der Besuch nach dem Ersten Weltkrieg in Triest während des Jahres 1919 war für James Joyce nur eine kurze Episode, Leopold Popper blieb jedoch weiterhin dort seßhaft. Er war ein geachtetes Mitglied der jüdischen Kultusgemeinde, wenn er sich auch von den neu-angesiedelten aus Galizien stammenden Juden distanzierte. Triest bewarb sich weiter um den Frachtverkehr aus der Moldaurepublik, wobei Hamburg starke Konkurrenz entwickelte. Aber anfangs war ja auch Mussolinis Stellung zu den Juden eine andere als später unter Hitlers Einfluß. Es gab Juden, die Mitglieder der faschistischen Partei und froh waren, daß sie ihren Beruf ausüben konnten. So auch Leopold Popper.

Was mich immer bei diesem Namen faszinierte, war nicht nur der Vorname, sondern auch der gewählte Familienname Bloom: Ich wohnte nämlich eine Zeitlang in Prag im Hause Petersplatz 7, und dort las ich immer wieder den Namen der ganzen Firma: Adolf Blum und Leopold Popper. Und da fiel mir ein,

daß auch dieser zweite Name eine Rolle spielte. James Joyce korinte doch seinen Helden wegen der nahen Bekanntschaft nicht Leopold Popper nennen, also nahm er den zweiten Namen Blum und schrieb ihn nach englischer Phonetik Bloom. Doch diese meine Forschung wird noch heute offiziell nicht zur Kenntnis genommen, für Literaturhistoriker ist der Jude Italo Svevo das Vorbild, und obwohl über James Joyce fast so viel geschrieben wird wie über Franz Kafka, werden die Figuren Popper und Blum nicht zur Kenntnis genommen. Ich weiß nur soviel, daß das jüdische Element in James Joyces „Ulysses“ immer von neuem untersucht wird, so auch durch eine Dissertation an der University of North Carolina durch Ralph Robert Joly und andere.

Als ich vor einigen Jahren besuchsweise in Triest war, fragte ich beim Besuch der Generaldirektion meiner Versicherung einen alten Funktionär, was aus Herrn Leopold Popper geworden sei. Er dachte ein wenig nach und sagte: „Der lebte hier, zuletzt ganz allein; als er deportiert werden sollte, ließ er Koffer und Mantel mit seinem Namen auf einem Molo stehen, und man nahm an, daß er

Selbstmord begangen habe. Er tauchte jedoch in den Untergrund, seine Villa wurde zerbombt, er lebte wie ein Vagabund in einem Keller, ohne Heizung, denn der Rauch aus der Ruine hätte ihn verraten. Er ging oft in den Vorraum des Opernhauses, um ein bißchen Musik zu hören. Die Türsteher kannten ihn, ließen ihn gewähren. Eines Tages erhielt auch der Keller, in dem er wohnte, einen Volltreffer, und der alte Leopold Popper wurde getötet. Eines der vielen unbekannten Opfer. 0

Ich weiß nicht, ob diese Triester Version von Leopold Poppers Verwandten bestätigt wird, jedenfalls scheint sie mir eine dramatische Vorlage für ein Fernsehspiel über das Vorbild des Ulysses zu sein. Zu meinen Recherchen gehört auch die von vielen Popper-Angehörigen verlangte Erklärung des Familiennamens Popper, die mir anläßlich eines Kuraufenthalts in Bad Kissingen gelungen ist. Hier in dieser nordfränkischen Gegend, wo sich auch die Stammburg Trimburg und der Geburtsort des einzigen jüdischen Minnesängers Trimberg befindet, gab es unzählige Ortschaften, wo Juden gewohnt haben. Das Gebiet gehörte den Grafen von Henneberg, deren

Urahne und manche Nachfolger den Namen Peppo führten. Diese Peppo-nen gründeten Ortschaften, die bis heute Poppenried, Poppenrot, Poppenreuth, Poppenlauer, Poppenhausen usw. heißen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg, der die Gegend vollkommen vernichtete, wanderten viele Juden, so auch aus Kissingen, wo es mehr als zehn Prozent Juden gegeben hatte (der Friedhof ist erhalten!), aus.

Aber die josephinische Toleranz ging nicht so weit, den Beamten war die unterschiedliche Endung Rot, Reuth, Ried usw. einerlei, sie nannten diese Juden einfach Popper, die aus Poppenlauen und Poppenhausen

Lauer und Hauser, und so wurde der Name Popper nachher ein in Böhmen äußerst häufiger Familienname, der sich nach Wien und in westlichere Länder durch Emigration verbreitet hat. Der „Wiener“ Pop-per-Lynkeus, aus Kolin gebürtig, ist ebenso weltbekannt geworden wie der Violincellist David Popper, den Richard Wagner sehr geehrt hat. Der heutige Kanzler Helmut Schmidt beruft sich auf den Wissenschaftler Sir Karl Popper, dessen Einfluß in der anglikanischen Welt bedeutend ist. Und mit dem Roman „Ulysses“ ist nun ein einfacher Spediteur, Leopold Popper, als Roman-Vorbild in die Weltliteratur eingegangen.

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