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Vernünftiger Don Quijote?

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Zwiegespräch über den Don Quijote. Von Wilhelm Hausenstein. Verlag Kösel, München und Kempten. 53 Seiten

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Zwiegespräch über den Don Quijote. Von Wilhelm Hausenstein. Verlag Kösel, München und Kempten. 53 Seiten

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Dieses Zwiegespräch über die schier unsterbliche Gestalt des Cervantes ist ein Appell, den ingeniösen Junker von der Mancha nicht als den Träumer, Phantasten, Illusionisten zu verstehen, sondern als dessen genaues Gegenteil, als den Tatmenschen — freilich als einen Mann nicht der zweckhaften Tat, sondern als den Menschen, der das Gute verwirklicht; mag er auch als der „literarische Mensch" ursprünglich von Cervantes entworfen worden sein, als der Mensch des Buches, der unverbindlichen Phantasiehaltung. Was aber der Dichter aus ihm gemacht hat, ist schließlich das Gegenteil des literarischen Menschen geworden, denn Don Quijote sucht die faktische Gefahr, was der literarische Mensch nie tut. Man sieht, Hausenstein geht es darum, Don Quijote als den Menschen der Existenzverwirklichung aufzufassen und ihn als religiösen Typus vom ästhetischen, romantischen zu unterscheiden. Ein „Lesender, der handelt", diese Formulierung trifft zunächst das Problem: ein Mensch, der Gedanken in Tat umsetzt. „Man müßte ein vernünftiger Don Quijote sein", dieser Satz ist die Summe dieses klugen und weisen Gesprächs, und es ist kein Zufall, daß er in französischer Sprache von einer Französin formuliert wird. Es ist ein durch die französische Räson korrigierter spanischer Don Quijote. Alles hänge davon ab, ob wir wieder „zu der selbstlosen Leidenschaft des Don Quijote für das menschlich Gute, das christlich Rechte zurückkehren". Das rationale Amerika hat einen Dichter wie Thornton Wilder hervorgebracht, von dem Hausenstein bekennt, daß er vor allem das Erbe Don Quijotes gerettet habe und ihm, dem Verfasser, deshalb am teuersten sei.

Man muß dieses Zwiegespräch um den christlichen Humanismus als ein persönliches Bekenntnis Hausensteins nehmen. Es geht ja nicht um eine „richtige" Interpretation, sondern um einen Aufruf zur Verwirklichung des Gedankens christlicher Liebe. Es ist nicht der echte Don Quijote, den uns Hausenstein gibt, sondern eine Ausgabe ad usum temporis nostri, eine räsonable Bearbeitung dieser vieldeutigen Gestalt. Ein Vergleich von Hausensteins Auffassung mit der Miguel Unamunos, der in Don Quijote den Helden des Glaubens sieht, wäre reizvoll. Unleugbar, daß in dem ingeniösen Junker auch ein Stück ästhetizistischer Politiker steckt, dessen sehr literarischen Weltverbesserungsplänen höchst zu mißtrauen ist, da er selbst bekennt, er werde den Durstenden zu essen geben und die Hungernden tränken. Uns erscheint Don Quijote eher als ein Moralrigorist, der auszieht, das Ideal, das Schöne, Gute und Wahre in der Welt zu verwirklichen und dabei Schiffbruch erleidet. Man denke sich Don Quijote als einen Menschen von heute und der Aktivist, Radikalist ist fertig. Fertig ist der Mensch, der dem reinen Geist zum Durchbruch verhelfen will, möge darüber auch die Welt in Scherben gehen. Fiat justitia, pereat mundus. Von dem Gedanken, den Geist in Tat, zumal in allgemein beglückende Tat umzusetzen, bis zum Zivilisationsliteraten ist es gar nicht so weit. Ein „vernünftiger Don Quijote" begäbe sich allerdings seines Don-Quijotesken Charakters, und es bleibt die Frage, wie weit diese contradictio in adjecto noch den Namen Don Quijote überhaupt verdiente.

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