Wie recht er doch hat

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"Unbeschwerter Leser, auch ohne Eid darfst du mir glauben, wie sehr ich mir wünschte, dies Buch, dies Kind meines Geistes, wäre das schönste, stolzeste und klügste, das man sich nur denken kann." Mit diesen Worten beginnt Miguel de Cervantes seinen Roman "Don Quijote von der Mancha". Sein Vorwort stellt die Glaubwürdigkeit des Textes infrage und spricht dem Leser das Recht zu, mit dem Folgenden machen zu können, was er will. Mit diesem Werk hat Cervantes den Leser erfunden, schrieb Alberto Manguel in seiner "Geschichte des Lesens", die soeben mit vielen Illustrationen neu aufgelegt wurde. Der Leser Alonso Quijano betritt nach seinen Lektüren die Wirklichkeit, indem er in eine Rüstung steigt und mit seinem Gaul aufbricht. Sein Blick ist ein anderer, mit ihm sieht man mehr. "Don Quijote" gilt als erster moderner Roman, geschrieben Jahrhunderte, bevor die Moderne begann. Gemeinsam mit Quijote können die Leser nun auch in einer wunderbaren Neuübersetzung die Welt in ihrer Konstruiertheit erfahren und entdecken, dass man alles aus unterschiedlichen Perspektiven anders sehen kann. Was dem einen "bloß" eine Rasierschüssel, ist dem anderen ein Helm. Das wissen manche Leser, und manche Schriftsteller wissen es auch, Michael Ende zum Beispiel: "Don Quixote wird von den Klugen verlacht, weil er immerfort alles für etwas anderes hält, als es ist. Wie recht er doch hat!"

Schubert spielen, während Schubert anwesend ist

Konstruiert ist auch der Blick in die Kindheit, wird sie nun ausgemalt als Himmel oder als Hölle. Sie wird immer von später her erschrieben. Deutlich macht das etwa das Werk von J. M. G. Le Clézio, der den diesjährigen Nobelpreis für Literatur erhält. In "Der Afrikaner" spürt er literarisch seinem Vater nach. "Ich versuche mir vorzustellen, was es für ein achtjähriges Kind bedeutet, das in einer durch den Krieg bedingten Abgeschiedenheit aufgewachsen ist, ans andere Ende der Welt zu reisen, um einen Unbekannten zu treffen, den man ihm als seinen Vater vorstellt." Le Clézio erfindet im Schreiben die Kindheit, mehr noch die ihn prägenden Erfahrungen in Afrika schon vor seiner Geburt. Heimat und Identität werden schreibend gesucht, konstruieren sich durch Sprache.

"Um schreiben zu können, muß man zurückschauen. Und dieser Blick verwandelt einen selbst und die anderen in Salzsäulen." Der israelische Schriftsteller Amos Oz erzählt im Buch "Verse auf Leben und Tod", in dem Leben und Literatur ununterscheidbar werden, unter anderem von der Unmöglichkeit, durch Sprache abzubilden. "Die Welt so zu beschreiben, wie sie ist, zu versuchen, einen Farbton oder einen Geruch oder ein Geräusch in Worte zu fassen, bedeutet, Schubert zu spielen, während Schubert anwesend ist und vielleicht in der Dunkelheit kichert."

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