Die Rolle der Idealisten im Sozialismus

Ernesto Cardenal, der Priester und feinsinnige Lyriker, der den Sandinisten in Nikaragua allzu lange als Aushängeschild und sogar als Kulturminister diente, hat sich nun spät, aber doch von der Gesellschaft, in die er sich begeben hat, losgesagt und sich auf seine eigentlichen Wurzeln besonnen.

Cardenal, der sich ob seiner Haltung auch den Unwillen des Papstes zugezogen hatte, ist seinerzeit sicher seinem Gewissen gefolgt, als er gemeint hatte, den revolutionären Anliegen der san- dinistischen „Befreier“ folgen und dienen zu müssen. Ntm hat er erkannt, daß sein Gewissen ein irrendes war oder geworden ist.

Denn die Sandinisten unter Führung des Armeekommandanten Daniel Ortega haben längst ihr wahres Antlitz gezeigt und sich als Machtbesessene entpuppt. Wieder einmal ist eine Revolution, die einst im Namen der Armen und Entrechteten begonnen wurde, zu einer Diktatur verkommen, welche die sozialen Anliegen nur als Vorwand für ganz andere Ziele und Inhalte nimmt. Beim Sozialismus aller Spielarten wiederholt sich eben immer wieder dasselbe grausame Spiel: Am Anfang stehen die Idealisten und ehrlichen Weltverbesserer im Vordergrund.

Sie werden aber regelmäßig von den dahinter lauernden Apparatschiks und Fanatikern, von Geschäftemachern und Menschen ohne Beruf und Alternative, aus dem Verkehr gezogen und letztlich an die Wand gespielt, im Kommunismus in brutaler und direkter Form, in der Sozialdemokratie durch subtilere, aber im Effekt nicht minder wirksame Ausscheidungsmechanismen.

Die Verwalter des Sozialismus, der zu einem Machtapparat und Selbstbedienungsladen verkommt, wollen eben unter sich bleiben und entledigen sich auf die eine oder andere Art lästig gewordener personifizierter Erinnerungen an die einstigen eigentlichen — idealistischen - Ziele. Manchmal jedoch nehmen ihnen Persönlichkeiten wie Ernesto Cardenal zu ihrer Bestürzung, aber im Endeffekt auch zu ihrer Erleichterung, diese Arbeit ab.