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Ernesto Cardenal: Produktives Ärgernis

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„Jeder Hahn, der des Nachts in Brasilien kräht, ist jetzt subversiv: Er singt .Revoluciao'...," dichtete Ernesto Cardenal in seiner „Epistel an Monsi-gnore Casaldäliga". Und in vielen anderen Gedichten, „Psalmen" und Erzählungen besang er die Revolution. In seinem Heimatland Nikaragua machte er sie dann auch.

Ein reiches Erbe schlug der Patriziersohn aus, der in Mexiko und den USA Philosophie und Literatur studiert hatte, als er, ein Vierziger, 1965 zum Priester geweiht wurde. Fünf Jahre zuvor war er in den USA als Novize in ein Trappistenkloster eingetreten.

Sein soziales Verantwortungsgefühl trieb ihn aber wieder hinaus an die „Front", zu den Menschen, zu den Armen. Auf einer Insel Nikaraguas gründete er eine christliche Kommune, predigte gewaltlosen Widerstand gegen den Diktator Somoza und war eines Tages auch für die gewaltsame Beseitigung des Tyrannen zu haben.

„Ich ziehe noch immer die Gewaltlo-sigkeit vor", sagt er auch heute noch. „Aber langsam habe ich mich überzeugen lassen, daß es für Nikaragua keinen anderen Weg als den bewaffneten Kampf gab."

Das haben ihm nicht nur konservative Kritiker vorgehalten, sondern etwa auch der nordamerikanische Priester-Widerständler Daniel Berrigan. Und war nicht auch sein Vorbild Gandhi ein Musterexemplar gewaltlosen Widerstands? Cardenal: „Auch Gandhi hat den Krieg gegen Hitler-Deutschland befürwortet."

Kein Wunder, daß dieser Priesterdichter und Ministerrevolutionär, der heute das Kultur- und Erziehungsressort Nikaraguas leitet, umstritten ist. Aber die Tausenden vor allem jungen Menschen, die ihm bei Vorträgen in Graz und Wien dieser Tage zuhörten, folgten ihm mit jubelndem Applaus. Und viele spendeten, sodaß der Gast nicht mit leeren Händen heimkehrte.

In Nikaragua, so schilderte er im überfüllten Großen Saal des Wiener Konzerthauses den anwesenden „Brüdern, Genossen und Freunden", sei eine Revolution wie noch nirgendwo gemacht worden. Ihre Besonderheiten:

„Es war eine demokratische Revolution - das ganze Volk hat mitgemacht." Marxisten, Christen, Arbeiter, Indianer, Klerus, besonders viel Jugend, viele Frauen seien mit dabei gewesen.

„Und es war eine humanistische Revolution": Es habe keine Todesstrafe gegeben, als das Ziel erreicht war. Die Pressefreiheit wurde wiederhergestellt. Neben verstaatlichtem gebe es weiter privates Eigentum. Und die Revolution habe heute eine kollektive Führung ohne Personenkult.

Natürlich sagt Ernesto Cardenal auch: Nie hätten bei einer Revolution so viele Christen mitgewirkt. In der heutigen Junta-Regierung sind der Außen-, der Sozial- und der Kulturminister (er selber) katholische Priester.

Bruder Fernando Cardenal, ein Jesuit, leitet die große Alphabetisierungskampagne, in der „die eine Hälfte des Volkes die andere lesen und schreiben lehrt und wo es zu einer unglaublichen Verbrüderung im ganzen Land kommt."

Natürlich: So poetisch, wie dieser Ei-, ferer der Menschlichkeit es schildert, kann der revolutionäre Alltag kaum aussehen. Und alle jene, die dem Revoluzzer im Priesterkleid heute in Österreich applaudieren, würden hierzulande Priester als Politiker auspfeifen.

Mit Recht. Auch in Lateinamerika kann das kein erstrebenswertes Modellbild sein, und man hört auch, daß der Papst deren Rückzug aus der aktiven Politik auch in Nikaragua anordnen möchte. (Cardenal: „Dann muß der Papst auch als Staatsoberhaupt des Vatikanstaates abdanken.")

Es gibt also schon eine ganze Reihe kritischer Fragen, die Christen ihrem. Mitbruder Cardenal („Ich bin ein marxistischer Christ") zu stellen hätten.

Nur: Dazu hätte er von einem kirchlichen Forum eingeladen werden müssen. Auch der steirische Landeshauptmann Josef Krainer hat ja jüngst den brasilianischen Kardinal Arns, gleichfalls ein Vorkämpfer der Menschlichkeit in Lateinamerika, eingeladen.

Ernesto Cardenal aber war nun zum zweitenmal schon als Gast des Bundeskanzlers („mein Genosse Kreisky") in Österreich und sprach in Wien auf einer Veranstaltung des Karl-Renner-Insti-tuts.

In einem christlichen Forum hätte man leichter (und legitimer) gegen seine Auffassung argumentieren können, daß die Magnifikatstelle „Gott stößt die Mächtigen vom Thron und hebt die Niedrigen empor" eine Art marianische Klassenkampfpredigt sei.

Dort hätte man auch in Frage stellen können, ob es wirklich eine Errungenschaft der Menschlichkeit ist, wenn die Eroberer einer Festung von einer „Kommandantin" angeführt werden, und ob die am „Alphabetisierungskreuzzug" mitwirkenden Lehrer aus Kuba wirklich die richtige Bildung einem Volk vermittelt, in dem es angeblich nicht mehr so wichtig ist, ob einer Marxist oder Christ ist, „weil alle Nächstenliebe üben".

Aber für die Kirche in Österreich gab es Ernesto Cardenal nicht. Das ist schade. Denn immerhin dürfte seine sicherlich subjektive Darstellung einen Einwand doch entkräften: daß die Marxisten in der Sandinistischen Befreiungsfront ihn als einsame kirchliche Alibifigur mißbrauchen.

Eine offene und kritische Aussprache mit ihm unter christlichen Vorzeichen hätte vielleicht ergeben, daß Ernesto Cardenal in der Tat auch für uns sein könnte, was der Theologe J. B. Metz anläßlich der Überreichung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels ihn geheißen hat: ein „produktives Ärgernis" ...

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