Fernando Cardenal war der unauffälligere, der weniger bekannte und der jüngere der befreiungstheologischen Brüder. Während der Poet Ernesto mit seiner Baskenmütze und seinem weißen Bart zur Symbolfigur der Befreiungstheologie wurde, war Fernando mit der praktischen Umsetzung im revolutionären Nicaragua befasst: als Leiter der Alphabetisierungskampagne 1980, die in nur fünf Monaten die Analphabetenrate von über 50 auf 13 Prozent drückte, und als Bildungsminister von 1984 bis zur Niederlage der Revolution an den Urnen im Jahre 1990. Fernando Cardenal, Spross einer konservativen Familie aus der alten Kolonialstadt Granada am Nicaraguasee, war während seiner Ausbildung zum Jesuiten in den Slums der kolumbianischen Metropole Medellín vom Bazillus der Befreiungstheologie angesteckt worden. In Managua wurde er 1970 als Vizerektor an die eben gegründete Jesuitenuniversität UCA berufen und beteiligte sich an Protestaktionen gegen den Diktator Anastasio Somozaså. Zweimal nahm er an der Besetzung der Kathedrale teil, um Druck zu machen. Den Zorn des Tyrannen zog er sich zu, als er 1976 zu einem Hearing vor dem US-Kongress geladen wurde, wo er im Auftrag der Sandinistischen Befreiungsfront (FS-LN) Fakten über die Repression der Nationalgarde vorlegte. Im Jahr darauf gründete Cardenal mit dem Schriftsteller Sergio Ramírez und anderen oppositionellen Intellektuellen und Unternehmern die Gruppe der Zwölf, die für den Sturz der Diktatur eintrat und deswegen ins Exil nach Costa Rica fliehen musste. Das Regime stürzte 1979 dank einer Allianz zwischen linken Guerilleros und bürgerlicher Opposition. Cardenal wurde zunächst mit der später von der UNESCO ausgezeichneten Alphabetisierungskampagne betraut, dann als Erziehungsminister ins Kabinett von Daniel Ortega berufen. Sehr zum Ärger Roms: Papst Johannes Paul II. maßregelte ihn und andere Geistliche öffentlich. Der Jesuitenorden musste Cardenal suspendieren. Erst nach dem Ende der Revolution wurde er wieder aufgenommen und mit der Leitung des jesuitischen Bildungswerks Fe y Alegría betraut. Mit dem immer autoritärer auftretenden Daniel Ortega brach Fernando ebenso wie sein Bruder Ernesto. Ortega ist nachtragend: zur Beisetzung schickte er als offizielle Vertretung einen ehemaligen Erziehungsminister. Cardenal starb am 20. Februar in Managua. "Wenn meine Stunde schlägt", schrieb er kürzlich, "werde ich sehr glücklich gehen und Gott danken für das Leben, das mir beschert war".