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Ein Viktorianer von Riesenformat

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Das Zeitalter der industriellen Revolution hat in England zwei Chronisten gefunden, die, von der Statur und dem Vornamen abgesehen, wenig gemeinsam hatten. Einen Dichter und einen Nationalökonomen, Charles Dickens und Karl Marx. Während Marx unzählige Male zitiert, verdammt oder als Kronzeuge beschworen wird, ist das Bild Dickens für den Kontinentaleuropäer ein wenig verschwommen geworden und scheint von einem falschen Behaglichkeitsrand umsäumt. Wieso kommt es eigentlich, daß die Armut vergangener Tage im nachhinein so gemütlich wirkt?

Das Bild Charles Dickens wieder lebendig zu machen, an dem Fernrohr, mit dem wir in die Vergangenheit blicken, solange zu drehen, bis eine scharfe und klare Einstellung entsteht, das ist in der Tat ein verdienstvolles Unterfangen, doppelt verdienstvoll, wenn dabei ein Buch entsteht, das von vornherein für junge Menschen bestimmt ist. Denn Charles Dickens war eine machtvolle und große Erscheinung, ein Beweger der Herzen, bei dessen Tod die kleinen Leute, die noch von Karl Marx kaum Notiz genommen hatten, sich zuriefen: „Wir haben unseren Freund verloren.“ Eleanor Graham entledigt sich dieser Aufgabe mit einer natürlichen Frische,die die Lektüre des Buches auch für Erwachsene zu einem großen Vergnügen macht. Versetzt man sich in die Lage eines ganz jungen Menschen, der wahrscheinlich noch keine der Bücher des großen Engländers gelesen hat, so dürften die häufigen Hinweise auf spätere Werke etwas verwirrend wirken. Man hätte dem leicht abhelfen können, wenn man eine knappe Zusammenfassung der Werke Dickens mit Jahreszahl und Themenangabe hätte vorangehen, lassen. Dem Wert des Buches tut dies indes keinen Abbruch. Abbruch tut ihm hingegen die erstaunliche Nachlässigkeit der Herstellung. Ein Buch herauszubringen, das ist immer ein Abenteuer, bei dem etwas schiefgehen kann, und wer je in solch ein Abenteuer verwickelt war, der wird vor billigem Spott zurückschrecken. Was aber soll man von einem Buch sagen, in dem auf die Seite 192 die Seite 3 3 folgt, worauf bis 64 der schon bekannte Text folgt, um plötzlich wohlgemut in Seite 22! zu münden, wodurch ein wesentlicher Abschnitt des geschilderten Lebens unter den Tisch fällt? Das ist ganz einfach ein Skandal, und wir können unsere Leser nur ersuchen, vor dem Einkauf nachzusehen, ob auch das Exemplar in ihren Händen auf diese Weise verstümmelt ist.

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