Der Sieg der Tomate

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Seit 50 Jahren dokumentiert das Österreichische Wörterbuch die Sprache des Landes.

Es ist ein Buch, an dem keiner der unter 60-jährigen Österreicher vorbeikonnte. Das Österreichische Wörterbuch (ÖWB) feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag und schenkt sich dazu die rundum überarbeitete 39. Auflage. Seit der ersten Ausgabe im Jahr 1951, die damals gerade 276 Seiten und einen grauen Pappeinband (die "graue Ausgabe") hatte, wurde das Buch häufig überarbeitet. Nun hat es fast 1.000 Seiten Umfang, die Stichwortanzahl liegt bei rund 77.000, das sind um etwa 17.000 Stichworte mehr als in der vorangegangenen Auflage von 1997. Bisher wurden vom Österreichische Wörterbuch insgesamt rund 4,5 Millionen Exemplare abgesetzt. Das neue ÖWB gibt es sowohl als Buchhandelsausgabe wie auch als Schulausgabe.

Bei der Präsentation des dicken Wälzers im Haus der Industrie in Wien war die Neuerscheinung auch Anlass für eine Expertenrunde, die laut über die Stellung eines heimischen Wörterbuches zum großen deutschen Bruder, dem Duden, nachdachte. Bei der anschließenden Podiumsdebatte zum Thema "Österreichisches Deutsch zwischen Internationalität und Regionalität" stand die Frage im Mittelpunkt, welchen Stellenwert die Eigenheiten der heimischen (Umgangs-)Sprache heute noch haben.

"Trotz des digitalen Zeitalters gibt es den starken Wunsch nach einer Art Nationalenzyklopädie", wie es ÖWB-Chefredakteur Herbert Fussy ausdrückte. "Aus der ehemaligen Konkurrenz zwischen dem Duden und dem Österreichische Wörterbuch ist eine Kooperation geworden", meinte Manuela Glaboniat vom Österreichischen Sprachdiplom, einer Organisation, die weltweit Kurse und Prüfungen in österreichischem Deutsch anbietet.

Neue Austriazismen

Das ÖWB wird seit jeher im Auftrag des Bildungsministeriums herausgegeben und hat den Zweck, speziell die Besonderheiten in Wortschatz, Grammatik, Aussprache und Sprachgebrauch des österreichischen Deutsch zu berücksichtigen. In der aktuellen Ausgabe sind zahlreiche Austriazismen hinzugekommen, wie etwa Aufsperrdienst, Abfertigungsrücklage, großkopfert oder Heckenklescher.

Besonderes Augenmerk legten die Herausgeber erstmals auch auf den Wortschatz Westösterreichs. So finden sich im ÖWB auch Vorarlberger und Tiroler Eigenheiten wie Beiz, Birebrot, Flädle oder Holder.

"Das Österreichische Wörterbuch ist ein Dokument unserer Identität", meinte bei der Podiumsdiskussion Markus Warasin vom Büro für Sprachminderheiten in Brüssel. "Ich selbst bin Südtiroler", so Warasin: "Und für uns ist das Österreichische Wörterbuch ein starker Orientierungspunkt, wenn es um unsere Identitätsfrage geht."

Keine Sprach-Identität

An eine gemeinsame österreichische Identität glaubt die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak hingegen nicht: "Die österreichische Identität gibt es nicht. Bei uns sind verschiedene lokale Identitäten stark ausgeprägt, aber Gesamt-Österreich leidet unter mangelndem Selbstbewusstsein in dieser Frage". Dennoch: Die Notwendigkeit eines eigenen Wörterbuches für österreichisches Deutsch will an diesem Abend niemand anzweifeln.

"Wir versuchen, uns schon ein wenig abzugrenzen vom sprachlichen Einheitsbrei aus Deutschland", meinte etwa APA-Chefredakteur Wolfgang Mayr. "Wir geben rund 200.000 Meldungen pro Jahr heraus und haben durchaus Listen mit Worten in der Redaktion, die eher nicht gebraucht werden sollten". Dennoch meint Mayr: "Die Tomaten haben längst gegen die Paradeiser gewonnen, und die Kartoffeln gegen die Erdäpfel. Das ist nicht mehr zu ändern".

Ins Österreichische Wörterbuch haben nun auch zahlreiche Anglizismen Aufnahme gefunden. Neue Wörter wie covern, Dreadlocks, Revival oder SMS gehören ebenso dazu, wie Fachsprachliches (ADSL, Bluetooth, Domain oder Nasdaq). "Viele dieser Anglizismen kommen im alltäglichen Sprachgebrauch sehr häufig vor. Deshalb ist es legitim, sie in das ÖWB aufzunehmen", meint Ruth Wodak. Derlei Entwicklungen hätten aber keinen grundsätzlichen Einfluss auf die hiesige Landesprache. "Das österreichische Deutsch ist nicht bedroht. Nicht einmal vom deutschen Deutsch", fand Standard-Chef vom Dienst Günther Traxler: "Aber auf der anderen Seite wird das österreichische Deutsch - trotz des Österreichischen Wörterbuches - wohl nie seinen Siegeszug um die Welt antreten."

ÖSTERREICHISCHES WÖRTERBUCH. Buchhandelsausgabe. 39. Auflage. Österreichischer Bundesverlag/Verlag Jugend und Volk, Wien 2001. 984 Seiten, Halbleder, öS 232,-/e 16,80 ÖSTERREICHISCHES WÖRTERBUCH. Schulausgabe. 39. Auflage. Österreichischer Bundesverlag/Verlag Jugend und Volk, Wien 2001. 888 Seiten, geb., öS 143,51/e 10,43

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