Märchen voll zärtlicher Lüge

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Allzu behaglich sollte es uns die Reihe von Holocaust-Komödien aber auch nicht machen.

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Allzu behaglich sollte es uns die Reihe von Holocaust-Komödien aber auch nicht machen.

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Das Pendant der Erhöhung des Holocaust zum unausprechlichen Bösen ist die wachsende Zahl von Holocaust-Komödien, die in letzter Zeit entstanden sind. Denn wenn keine direkte Inszenierung des Grauens mehr angemessen sein kann, schreibt der slowenische Philosoph Slavoj Zizek in seinem gerade erschienen Buch "Das Fragile Absolute. Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen" (Verlag Volk und Welt, Berlin 2000), dann bleibt als einziger Ausweg aus dieser Bredouille die Komödie, die wenigstens von Anfang an akzeptiert, dass es ihr unmöglich ist, das Grauen angemessen wiederzugeben.

Als erstes Beispiel analysiert Zizek Roberto Benignis Film Das Leben ist schön. Ein jüdischer Vater präsentiert seinem Sohn das Konzentrationslager als Wettbewerb. Auschwitz sei nur ein Spiel, bei dem man sich an Regeln halten muss: so wenig wie möglich essen, die Notwendigkeit sich stundenlang zu verstecken und so weiter. Derjenige mit der höchsten Punktezahl wird am Ende einen "echten Panzer" gewinnen, verspricht der Vater und setzt alles daran, dass seine verzweifelte Strategie dem Jungen bis zur Befreiung durch einen amerikanischen Panzer plausibel erscheint Für Zizek ist dieser Film mit seiner komischen Seite dem Holocaust-Thema wesentlich angemessener als pseudoseriöse Versuche wie Schindlers Liste, weil er verdeutlicht, dass die sogenannte menschliche Würde auf dem dringenden Bedürfnis beruht, ein Minimum an schutzgewährendem Schein aufrechtzuerhalten. Auch der Budapester Schriftsteller und Holocaust-Überlebende Imre Kertesz beantwortet die Frage, ob man so über Auschwitz reden kann und darf positiv: "Benignis Film ist tragisch, nicht komisch." Der Geist, die Seele dieses Films, so Kertesz, seien authenthisch und berühren mit der Kraft des ältesten Zaubers, dem des Märchens.

Ein anderes Holocaust-Märchen - das zur Zeit gerade in den Kinos läuft - erzählt Radu Mihaileanus Film "Zug des Lebens". Schlomo, der Dorfnarr, kommt in sein jiddisches Schtetl in Rumänien und berichtet von den nahenden Nazis, vom Schrecken der Deportation und schlägt auch gleich eine Lösung vor: Wir kaufen einen Zug und deportieren uns selbst. Ein falscher Deportationszug, begleitet von falschen Nazis, macht sich daraufhin auf den Weg direkt in die Freiheit, ins gelobte Land Palästina. Das Ende des Films ist dann aber auch das Ende eines Kinotraums. Keiner dieser Holocaust-Komödien ist deswegen eine hundertprozentige Komödie, diagnostiziert Zizek An einem bestimmten Punkt wird das Gelächter oder die Satire suspendiert, und wir werden mit dem ernsten Niveau, der pathetischen Botschaft konfrontiert.

Ein gemeinsames Thema der neuen Holocaust-Filme - zu nennen ist noch das Remake des DDR-Klassikers Jakob der Lügner mit Robin Williams, in dem ein Ladenbesitzer im Getto behauptet, er besitze ein Radio und wisse deswegen von der bevorstehenden deutschen Niederlage - ist die Hoffnung der Illusion und die Illusion der Hoffnung. Aber hat diese Erfindung nicht eine wesentliche Entsprechung in der erlebten Wirklichkeit fragt Holocaust-Überlebender Kertesz: "Man roch den Gestank des verbrannten Fleisches und wollte doch nicht glauben, dass das alles wahr sein könnte."

Einen Kontrapunkt zur im Allgemeinen recht positiven Kritik an den neuen Gemütsfilmen und Holocaust-Komödien bietet hingegen Georg Seesslen in der Hamburger Zeit: "Nur allzu behaglich sollten sie es uns nicht machen im Kino - wenn draußen die Stiefel treten, die Häuser für Asyl Suchende brennen und die neuen Faschisten in den Chefetagen salonfähig werden. Noch können wir mehr als die zärtliche Lüge, die schmerzhafte Wahrheit gebrauchen."

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