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Apenmmsche Kodi-„Kunst“

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Bücher gegen den Strom sind besonders erfrischend; und der hier zu besprechende „kulinarische Führer“ durch die Regionen Italiens von Piemont und dem Aostatal bis Sizilien und Sardinien widerspricht in doppelter Hinsicht dem Trend unse rer Zeit. Einmal wirkt sich die weltweite Nivellierung und Angleichung nicht nur in den Künsten, dem äußeren Bild der Städte und Landschaften, der Kleidung und Lebensgewohnheiten auf dem ganzen Erdenrund, sondern auch in der

Kunst des Kochens und Essens aus und es gibt bekanntlich kaum etwas Eintönigeres als die standardisierte Kost der internationalen Hotels und Fluggesellschaften. Zum anderen ist, wie uns immer wieder versichert wird, unsere Zeit „ahistorisch“ oder sogar „antihistorisch“ und interessiert sich nicht für die Vergangenheit, sondern nur für Gegenwart und Zukunft, zu deren Erkenntnis angeblich die Erforschung des Woher nicht nötig ist, sondern nur eine Belastung darstellt.

In diesem Buch hingegen wird jedes kulinarische Phänomen jedes einzelne Gericht, mit ungeheurem historischen Wissen und bewundernswerter Akribie nach seiner Herkunft und Entwicklung untersucht, wobei Archäologie Soziologie, Sprachwissenschaft politische Wirt- schafts- und Kulturgeschichte als „Hilfswissenschaften“ herangezogen werden. So kann man hier etwa erfahren, daß die aus der ,Magna Graecia“ stammende, heute in der ganzen Welt verbreitete süditalie- nisohe Pizza ihren Namen vom griechischen „Pitta“ (Fladen) herleitet und es mehr als zwanzig verschiedene Arten gibt, wobei die verbreitetste, die nach der ersten Königin des vereinten Italien „pizza Marghe- rita“ benannte, auf Wunsch dieser Herrscherin von einem der berühmtesten neapolitanischen Pizza- Bäcker jener Zeit, Peppino Brandi, hergestellt wurde, der sie aus patriotischem Eifer in den Farben der Tricolore zubereitete: rot die Tomaten, grün das Basilikum und weiß die „Mozzarella“.

Gerade die Einigung Italiens hat allerdings zu einem kulinarischen Ausgleich zwischen den Küchen der einzelnen Regionen geführt — Spaghetti und Pizza wanderten von Süden nach Norden, Risotto und Polenta in entgegengesetzter Richtung vom Norden nach dem Süden — und die kulinarische Literatur, wie der berühmte Artusi, ein auch sprachlich-stilistisch mit Recht als „Klassiker“ anerkanntes Kochbuch, oder das in der Zwischenkriegszeit erschienene Buch des Schriftstellers und Journalisten Paolo Monelli („II ghiottone errante“ (etwa zu übersetzen: „Der fahrende Feinschmek- ker“), ein Vorläufer dieses kulinarischen Führers, haben zu einer solchen Entwicklung natürlich das Ihre beigetragen. Tiefgreifender war und ist die Auswirkung der großen italienischen Binnenwanderung der letzten Jahrzehnten von Süden nach Norden, die den Entwicklungsgesetzen des Arbeitsmarktes folgt und die auch auf der Ebene der breiteren Volksschichten zwischen den Regionen ausgleichend wirkt. So daß sich bei der nicht nur für die (für Anregungen stets dankbare) Hausfrau empfehlenswerten Lektüre dieses Führers manchmal die Besorgnis aufdrängt die Aussagen dieser gewissenhaften Bestandsaufnahme könnten bald ihre Gültigkeit verlieren; ein Grund mehr, sich lesend, und beim nächsten Italienbesuch probierend, in die Vielfalt der italienischen Küche zu vertiefen.

Wie alle Bücher dieses Verlages, ist auch „Italien tafelt“ überaus geschmackvoll — und appetitanregend

— mit Farbreproduktionen nach Werken alter und moderner Meister illustriert und ausgestattet. Ein Sonderlob verdient das als Anhang beigegebene „gastronomische Wörterbuch“ von Hanna Dehio, das, italienisch-deutsch und deutsch-italienisch dem Reisenden den Zugang zur italienischen Küche erleichtern soll.

ITALIEN TAFELT. Ein kulinarischer Führer. Von Felice Cünsolo. Mit einem gastronomischen Wörterbuch von Hanna Dehio. Prestel- Verlag, München 1971. 423 Seiten, 8 Farbtafeln.

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