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Buchenwald nächst Weimar

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Auf einer Studienfahrt durch einige „neue Bundesländer" in der früheren DDR besuchten wir auch Weimar. Wenige Kilometer nördlich, am Ettersberg, findet man die makabren Überreste des Lagers Buchenwald.

Weimar ist durch das Wirken Goethes und Schillers zum Zentrum der deutschen Klassik geworden, zu deren Grundideen die Humanität gehörte. Die Stadt ist voll von Erinnerungen an Wieland, Herder und Franz Liszt. Im Haus der Brüder Kirms trafen sich unter anderem Jean Paul, Humboldt, Iffland, später im Salon des Grafen Keßler Hauptmann, Hofmannsthal, Rilke und viele andere.

Hitler ließ am Rand von Weimar Regierungsgebäude planen, vermutlich, um dieses geistige Erbe propagandistisch für sein „Reich" zu nutzen. Derselbe „Führer" aber verantwortet Buchenwald. Ein Ort des Schreckens, in dem zwischen 1937 und 1945 zirka 56.000 Menschen aus vielen Nationen auf entsetzlichste Weise umgekommen sind.

Im Todesbunker in Zelle 17 findet man das Bild des Tiroler Pfarrers Otto Neururer. Ins KZ gekommen, weil er sich weigerte, in seiner Pfarre ein Mädchen mit einem SA-Mann zu trauen. In den Todesbunker gesteckt, weil er sich im Lager als Priester betätigte. Vom SS-Hauptscharführer Martin Sommer so lange an den Fußgelenken kopfüber aufgehängt, bis er starb. Sein Andenken ist in Weimar groß. Viele Katholiken beten auch dort für seine Seligsprechung.

Im selben Lager der diabolischen Unmenschlichkeit, so berichtet die Chronik, haben sich Menschen unterschiedlichster Nationalität selbstlos füreinander eingesetzt. (Braucht es gemeinsame Todesangst, um Nationalismen zu überwinden?) Knapp vor Kriegsende haben sich die Lagerinsassen selber befreit. Der Widerstandswille war also ungebrochen. Schließlich wurde das Lager von den Russen „befreit", aber in gleicher Funktion weitergeführt. Von 1945 bis 1950 kamen nochmals Zehntausende zu Tode. Man scheint aus der Geschichte nie zu lernen.

Man kehrt vom Ettersberg nach Weimar zurück und stellt sich die Frage, wie solches in aller nächster Nähe passieren konnte.

Nein, es ist nicht passiert, es ist von Menschen geplant und exekutiert worden. Wo blieb der Geist der Humanität, die prägende Kraft der schönen Künste? Es wäre zu einfach, zu sagen: es war eben ein Humanismus ohne Gott. Im Lager waren neben Neururer viele, die selbstlos halfen, obwohl sie keine Christen waren. Und unter den Schergen waren wohl auch solche, die aus christlicher Erziehung kamen.

Weimar zeigt, was doch alles in ein und demselben Menschen Platz hat. Und daß Humanismus und Bestialität so nahe nebeneinander wohnen können. Man sollte Weimar nicht besuchen, ohne auch auf den Ettersberg zu steigen.

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