6811716-1972_38_04.jpg
Digital In Arbeit

Der „Dickhäuter“

Werbung
Werbung
Werbung

Man kann die Dinge drehen wie man will: Österreich ist auf dem schnurgeraden Weg zum militärischen Strip-tease, zur Aufgabe seiner Verteidigungskapazität, zur faktischen Liquidierung seiner Wehrmacht. Auch ohne schon so weit zu gehen, daraus die Selbstaufgabe Österreichs herauszulesen, darf doch festgehalten werden, daß man sich rapide jenem Punkt nähert, an dem die Volksvertretung sagen muß, ob es überhaupt weitergehen soll. Kann man etwa die Existenz des Heeres und seine Ausstattung verfassungsgesetzlich garantieren? Oder aber etwa wirklich — mit allen neutrali-täts- und außenpolitischen Konsequenzen — neuen Formen der Verteidigung den Vorrang einräumen?

Man gewinnt in letzter Zeit den Eindruck, als ob die Heereskrise eine Krise der Personen wäre. Lütgendorf als Watschenmann, das ist zunehmend die Haltung der Opposition, aber auch eines Linksaußenteiles der Regierungspartei.

Die Personifizierung der Probleme ist allerdings nicht neu und die Angriffe der SPÖ von den Oppositionsbänken gegen weiland Verteidi-grungsminister Prader vor 1970 inspirieren offenbar auch heute oppositionelle Argumente.

Georg Prader: wo sind die Zeiten, da er für eine (damals gar nicht vorhandene) Krise öffentlich an den Pranger gebunden wurde? Wie lange ist das eigentlich her, daß der sogenannte Leerlauf, das Um und Auf der Sorgen im Heer war? Daß man das „Herumstehen“ als Grund für Reformkommissionen und Gesetze sänder ung en angab?

Georg Prader: auch diese Zeitung hat ihn nicht eben geschont. Aber der Ehrlichkeit historischer Vorgänge die Ehre — dieser Minister hat 1969 und 1970 alles das vorausgesagt, was jetzt eingetreten ist. Er hat die Umstellung von neun auf sechs Monate als tiefgreifende Operation bezeichnet und die Lebensgefährdung des Patienten Bundesheer prophezeit. Prader hat damals die Heeres-umgliederung, wie sie jetzt zuerst vorgeschlagen, dann wieder zurückgezogen, schließlich neuerlich modifiziert und ganz zuletzt gegenüber der Personalvertretung endgültig aufs Eis gelegt wurde, als das abqualifiziert, was sie ist: als ein Versuch unter völlig untauglichen Prämissen.

Georg Prader: wir müssen diesem Invaliden aus Niederösterreich heute anerkennend sagen, daß er der letzte war, der für sein Heeresbudget kämpfen wollte und zu kämpfen verstand. Nach ihm saßen nur noch Befehlsempfänger des Ballhausplatzes und der Himmelpfortgasse am Franz-Josefs-Kai. Denn Prader hat vor 1970 auch gegen die Widerstände der eigenen Parteifreunde gekämpft und war auf dem Weg, die Modernisierung der Streitkräfte in einem Langzeitprogramm (wenn auch bescheiden, so immerhin) voranzutreiben.

Der nicht immer unbestrittene Minister Prader hat es zu seiner Zeit eben nicht leicht gehabt. Seine Natur als „Dickhäuter“ hat ihn vor den ärgsten Schäden bewahrt. Und Menschen wie ihm weint man in der Politik keine Träne nach.

Aber Georg Prader hat von der Sache offenbar mehr verstanden als gelernte Offiziere in Ministerzimmern. Und das soll man fairerweise auch dann feststellen, wenn schon viel Wasser die Donau hinuntergeronnen ist — und man Georg Prader so heftig attackiert hat wie manchmal gerade diese Zeitung ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung