6794495-1971_04_04.jpg
Digital In Arbeit

Entscheidung in Gösing?

19451960198020002020

Seit nunmehr fünf Wochen ist die SPÖ dabei, die Bundesheerfrage in intensiver Propaganda auf eine reine Zahlenklauberei bei den Wiederholungsübungen zu reduzieren. Auf die sechs Monate, so wird Kreisky nicht müde zu betonen, habe man sich doch längst geeinigt, im übrigen wolle man in der SPÖ durchaus mit sich reden lassen; man sei ja entgegenkommend, und, also bitte schön, selbst über 50 Tage Wiederholungsübungen ließe sich verhandeln.

19451960198020002020

Seit nunmehr fünf Wochen ist die SPÖ dabei, die Bundesheerfrage in intensiver Propaganda auf eine reine Zahlenklauberei bei den Wiederholungsübungen zu reduzieren. Auf die sechs Monate, so wird Kreisky nicht müde zu betonen, habe man sich doch längst geeinigt, im übrigen wolle man in der SPÖ durchaus mit sich reden lassen; man sei ja entgegenkommend, und, also bitte schön, selbst über 50 Tage Wiederholungsübungen ließe sich verhandeln.

Werbung
Werbung
Werbung

Dieses liberale Beschwichtigungs- Trommelfeuer hat seine Wirkung in der Öffentlichkeit auch nicht verfehlt, zumal es sehr geschickt durch psychologischen Druck verstärkt wird: Die armen Jungmänner vom 1. Jänner! Sie werden nur durch bösartige ÖVP- Opposition noch immer über ihre Dienstzeit im Unklaren gelassen!

Freilich, die große Oppositionspartei selbst hätte der ganzen aufwendigen Propaganda nicht bedurft. Folgsam wie noch selten ließ sich die Partei- spitze in der Kärntnerstraße von Kreisky ihr Rollenverhalten in Sachen Bundesheer zuweisen und steckt nun in einer Entscheidungssackgasse, aus der man sich nur unter erheblichen Imageverlusten zurückziehen wird können. Was sind die Ursachen für diese Kalamität?

Seit 1955 ist Landesverteidigung ein peinliches Thema. Rosige Koalitionsoptimisten hatten damals (Fürs erste Jahr brauchen wir nicht soviel“) 3 Milliarden Anfangsdotierung für das neuerrichtete Heer gefordert und bekommen. Dieser Betrag hätte natürlich, konform mit der allmählichen Vervollkommnung eines Verteidigungssystems, bis auf den internationalen Standart erhöht werden sollen (dieser würde heute, umgerechnet auf Österreich, zirka 10 Milliarden Schilling betragen — und hier wurden nur die europäischen Neutralstaaten berücksichtigt!). De facto sind es jetzt 4,1 Milliarden.

Nach dem 1. März 1970 war Prader für die frischgebackene Oppositionspartei beim besten Willen kein Ver kaufsschlager mehr. Die Leitung des „Schattenministeriums“ bekam daher aus Gründen des Bündeproporz der 48jährige Bauembündler Tödling. Aber immer noch steht Prader unübersehbar im Hintergrund. Von den 25.000 Mann Kaderpersonal sind 22.000 Mitglieder der. straff organisierten ÖAAB-Fachgruppe, einer der wesentlichsten Prader-Schöpfungen. Für Prader und seine treuen Militärbürokraten ist es Ehrensache, ihre alten Konzepte zu retten.

Tödlings derzeitige Taktik heißt Verzögerung, und das ist merkwürdigerweise das Klügste, was man jetzt tun kann. Denn eine gesetzliche Annahme des Kreisky-Entwurfs würde die gerade so hoffnungsvoll angedeutete grundlegende Reform unserer Landesverteidigung auf lange Zeit unmöglich machen. Niemand wird sich, sind die sechs Monate erst einmal beschlossen, mehr ernsthaft mit dem Bundesheer beschäftigen. Aus einer schlechten Improvisation würde eine lächerliche Farce — und das unwiderruflich. Es darf also heute nichts fixiert werden, was morgen der Reformarbeit im Wege’ stehen würde.

Konzept der Jungen ÖVP

Eine emstzunehmende Reformarbeit zeichnet sich — das ist sicher auch ein Verdienst der Sozialisten — in der ÖVP ab. Nicht in der Parteispitze und auch nicht im Umkreis Praders, sondern im Wehrausschuß der Jungen ÖVP, deren sinnvolles und durchdachtes Konzept seit Herbst 1970

konkret auf dem Tisch liegt. Es zählt zu den unrühmlichen Traditionen dieser Partei, daß gute Konzepte und Ausarbeitungen monate- und jahrelang in der Schublade liegen bleiben und daß sie, wenn die Parteispitze dann endlich den „taktisch richtigen“ Zeitpunkt zur Veröffentlichung für gekommen hält, wirkungslos verpuffen: Mangelnde Vorbereitung, ungenügende Information der mittleren und unteren Parteikader und schlechte Publizistik sind der Untergang vieler neuen Ideen in der ÖVP. Der traditionelle Boykott der Parteibürokraten mag wohl das seine dazu beitragen.

Tödling und Zeillinger sind sich heute in ihrer Kompromißbereitschaft gegenüber Kreisky einig und verlangen mindestens 75 Tage Wiederholungsübungen zum sechsmonatigen Präsenzdienst. Diese 75 Tage müßte der Verteidigungsminister jedoch in der Übergangsphase je nach Bedarf durch einfache Verordnung „konsumieren“ können, sonst ist die Einsatzbereitschaft des Heeres gefährdet. Eine solche Konstruktion muß kompromißlose Mindestforderung bleiben um die Möglichkeit zu einer sinnvollen und langfristigen Reform zu erhalten. Diese Mindestforderung darf auch durch die pathologische Angst cter ÖVP vor Neuwahlen nicht verscffa- chert werden.

Eine wehrpolitische Entscheidung der ÖVP wird diesmal, in Gösing, endgültig nicht mehr zu vermeiden sein Ob sie die versäumten Entscheidungen der letzten 15 Jahre wird auf wiegen können, ist die Frage. Vielleicht wird Gösing wieder ein „taktisch richtiger“ Zeitpunkt sein, em neues Wehrkonzept zu lancieren, über dessen Schubladenexistenz in Partreikreisen geflüstert wird. Aber bitte nicht wieder eine improvisierte Übergangslösung! Denn diese „Übergangslösungen“ in Österreich… Na ja, wir wissen schon.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung