6977004-1985_49_04.jpg
Digital In Arbeit

Die Latte zu hoch gelegt

Werbung
Werbung
Werbung

Thomas Nowotny, Beamter des Außenministeriums, hat für sein dichtbeschriebenes und zitaten-reiches 414-Seiten-Buch den Titel anspruchsvoll gewählt: „Bleibende Werte - Verblichene Dogmen“ will er analysieren und vor diesem Hintergrund über die „Zukunft der Sozialdemokratie“ (so der weitgespannte Untertitel) reflektieren. An diesen selbstfixierten Latten muß sich wohl der Autor messen lassen.

Nicht immer macht Nowotny eindeutig klar, ob er analysiert, zynisch ist oder distanzierend schreibt. So etwa kritisiert er das l.-Mai-Verhalten der SPÖ, mit dem „nostalgisch und ein wenig ängstlich die Vergangenheit“ zurückgeholt werden soll, und beklagt wenig später, daß „man gegenüber bloßen Symbolen und vordergründiger Anteilnahme mit Recht mißtrauisch geworden“ ist.

Immer wieder schreibt sich Nowotny seine Skepsis gegen die Re-aktivierung des Vergangenen weg, gleichzeitig bemüht er die nach „rückwärts gewandte Sehnsucht“, weil damals „die klaren und eindeutigen Ziele noch nicht korrumpiert und verwässert waren durch die tatsächliche Aus-

übung der Macht“.

Das Kommunistische Manifest ist als Rezeptur untauglich, und die proletarische Revolution ist/ war ein Mythos; die Verstaatlichung hat die wirtschaftliche Effizienz nicht erhöht, und die Hauptforderungen des „traditionell-marxistischen Programmes“ waren „größtenteüs schädlich“: in dieser Breite rechnet Nowotny mit den Dogmen ab, die er als verbuchen verurteilt.

Wo aber bleibt die Perspektive? Bei Nowotny im Trost des Wortes: „Hätte Sozialismus heute wirklich nichts anderes als diese Ladenhüter anzubieten, dann wäre über ihn das Urteil auch schon gesprochen: man könnte ihn als schrullig und unerheblich abtun.“ Zukunftsträchtig ist das nicht -und auch nicht überzeugend.

Die große Fülle des von Nowotny aufgearbeiteten Materials hat es sicher auch dem Autor schwer gemacht, eine stringente Argumentationslinie einzuhalten.

Es sind oft Banalitäten, die in den Rang von Zwischentiteln gehievt werden: „Die Einkommen der Massen“ in den Industriestaaten „steigen“. Gleichrangig wird die Feststellung behandelt: „Der Reichtum der Industriestaaten ist nicht mit der Armut der Entwicklungsländer erkauft“ - oder nur eine knappe Seite später die verblüffende Einsicht, daß „der In-dustrialismus die Demokratie“ fördert.

Angesichts der freiheitsveren-genden Maßnahmen sozialdemokratischer Politik im von ihr geförderten Obrigkeits- und Versorgungsstaat; angesichts der sich verschärfenden Unterdrückungsmechanismen im realen Sozialismus; angesichts sogenannter Re-volutions- bzw. Militär-Regimes im amerikanischen Raum: die durch den Industrialismus geförderte Demokratie ist zumindest weltweit eine vernebelnde wie verwegene Formulierung.

Und für die österreichische Situation liefert Nowotny selbst das Gegenargument, indem er von den Parteien behauptet, „das politische Leben (zu) monopolisieren“. Wobei für Nowotny „der Eindruck entsteht, daß die Parteien trachten, sich den Staat Untertan zu machen und als Objekt der Ausbeutung anzueignen“. Daß zwischen diesen konträren Aussagen 267 Seiten liegen, erklärt den Gegensatz nicht.

BLEIBENDE WERTE - VERBLICHENE DOGMEN. Die Zukunft der Sozialdemokratie. Von Thomas Nowotny. Böhlau-Verlag, Wien 1985.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung