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Ein Rebell wird wiederentdeckt

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Michael Gaismair, Bauernführer im mittelalterlichen Tirol und Rebell gegen Kirche und Obrigkeit, sorgt erneut für .Aufruhr". Die Auseinandersetzungen verlaufen zwar weitgehend friedlich, geht es doch um die würdige Gestaltung des Gais-mair-Jahres anläßlich der 450. Wiederkehr des Todestages am 15. April.

Lange Zeit beinahe der Vergessenheit preisgegeben, entbrannte plötzlich ein richtiger Wettlauf um die Wiederentdeckung.

Ganz ohne Rivalitäten geht es dabei nicht ab. Gaismair ist als „schillernde Persönlichkeit" zwar nicht das klassische Beispiel eines Volkshelden, aber sein geistiges Vermächtnis läßt sich ob der weitreichenden Gültigkeit in beinahe jede Ideologie einordnen. Und so ist es nur die Fortsetzung einer immer wieder praktizierten Tradition, daß politische Gruppen und Bewegungen den genialen Tiroler Staatsutopisten ihren Zwek-ken nutzbar machen.

Da bereits die Nationalsozialisten den Rebell von Brixen ihrer Propaganda einverleibt hatten, dauerte es begreiflicherweise

nach dem Krieg ziemlich lange, bis man diese Gestalt der Tiroler Geschichte wieder offiziell aus der Versenkung zu holen wagte.

Im Zuge der nunmehrigen Diskussionen wird immer wieder geklagt, daß der Mann aus Brixen (Südtirol) dem Volk kaum bekannt sei und ganz im Schatten Andreas Hofers stehe, obwohl er doch geradezu europäische Bedeutung besitze.

Von mancher Seite hört man sogar die Beschuldigung, das offizielle Tirol habe Gaismair lange Zeit bewußt übergangen, weil er eine unbequeme Gestalt sei, und einige wollen nicht begreifen, wieso der biedere Wirt aus dem Passeier (Andreas Hofer) zum Volkshelden wurde und nicht der grundgescheite Schreiber aus Brixen.

Nun, wer einen Blick in die Volksseele zu werfen versteht,wird diese Frage leichter zu beantworten vermögen als jemand, der nur historische Fakten und wissenschaftliche Thesen zu Rate zieht: Michael Gaismair war eben nicht jene populäre Erscheinung, die automatisch die Herzen der Mitmenschen erobert.

Geboren um 1490, war er der Sohn eines sozialen Aufsteigers, der es vom Bergbauern in Tschöfs bei Sterzing zum Bergwerksbesitzer gebracht hatte.

Der junge Michael erhielt eine gute Ausbildung in der Lateinschule in Sterzing und machte Karriere durch Protektion. Er arbeitete jahrelang als Schreiber des Landeshauptmannes Leonhard von Völs und dann als gutbezahlter Sekretär des Bischofs von Brixen.

Bei allen Vorteilen, die er genoß, hatte er sich offenbar ein sensibles Rechtsempfinden bewahrt und konnte daher die Unzufriedenheit der Bürger und Bauern mit dem herrschenden Regime verstehen. So geriet er schließlich in den Strudel bäuerlichen Aufruhrs und wurde von Bauern in Brixen zum Feldhauptmann gewählt.

Vorerst versuchte Gaismair, durch Verhandlungen mit der Innsbrucker Regierung und dem habsburgischen Regenten, Erzherzog Ferdinand, eine gesetzliche Besserstellung der betroffenen Bevölkerung zu erreichen, als er jedoch hintergangen wurde, wandelte er sich zum Sozialrebellen.

In der Schweiz, wo er mit Zwingli zusammentraf, verfaßte er seine Landesordnung auf der Grundlage einer egalitär-christlichen Bauernrepublik.

Seine Idee wurde nie verwirklicht. Michael Gaismair starb 1532 als Staatspensionär der Republik Venedig, für die er eine ZeiÜang kriegerische Dienste leistete, unter den Messerstichen eines Attentäters.

Der Rebell von Brixen war ohne Zweifel eine der faszinierendsten Gestalten der Tiroler Geschichte. Seine Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit eilten seiner Zeit voraus und sind noch heute zeitgemäß.

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