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Eine wundersam blühende Winterrose

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Am 16. Dezember begeht Rafael Alberti seinen 90. Geburtstag in Madrid, wohin er erst vor 15 Jahren zurückkehren konnte. Ein argentinisches Sprichwort besagt, daß die Katze sieben Leben habe. Ähnliches wird auch von der Poesie behauptet. Der andalusi-sche Poet Rafael Alberti ist ein Überlebender mit dem siebenfachen Katzenleben: ein Dichter des Exils par excellence.

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Am 16. Dezember begeht Rafael Alberti seinen 90. Geburtstag in Madrid, wohin er erst vor 15 Jahren zurückkehren konnte. Ein argentinisches Sprichwort besagt, daß die Katze sieben Leben habe. Ähnliches wird auch von der Poesie behauptet. Der andalusi-sche Poet Rafael Alberti ist ein Überlebender mit dem siebenfachen Katzenleben: ein Dichter des Exils par excellence.

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Rafael Alberti, der die fast vierzig Jahre seines Exil-Lebens in Buenos Aires und Rom verbrachte, ist einer der letzten großen lebenden spanischen Poeten vom Jahrhundertbeginn, dessen Freund Federico Garcia Lorca (1898-1936) und Vorbild Antonio Machado (1875-1939) durch die faschistischen Untaten im Spanischen Bürgerkrieg umkamen, während der von ihm hochgeachtete Juan Ramön Jimenez (1881-1958) in seinem Exil in S an Juan auf der Karibikinsel Puerto Rico verstarb. Nach dem Tod Fran-cos und dem damit verbundenen Ende der fast vierzigjährigen Diktatur in Spanien kam Rafael Alberti im Jahr 1977 wieder nach Madrid. Bald darauf wurde er als Abgeordneter der nun auch europafreundlichen Kommunistischen Partei, der er bereits 1931 beitrat, ins Parlament der jungen Demokratie gewählt. Dazu bemerkte er stolz: „Vers für Vers, Strophe für Strophe, Lied für Lied brachte ich es zum Abgeordneten." So wurde der inzwischen achtzigjährige Poet Rafael Alberti 1982 zum spanischen

Politiker. In dieser Zeit des späten europäischen Aufbruchs Spaniens erhielt er 1983 den renommierten Cervantes-Preis. In Frankreich wurde er mit dem Ehrendoktorat der Universität Toulouse im Jahr 1984 ausgezeichnet.

Rafael Alberti ist eine überlebende Stimme dieses kriegs- und krisengeschüttelten Jahrhunderts, dem kein geringerer als der chilenische Poet Pablo Neruda (1904-73) seine post-hum erschienenen Memoiren „Ich bekenne, ich habe gelebt" widmete. Dort schrieb Neruda über Alberti: „Die Dichtung ist stets ein Akt des Friedens. Der Dichter wird aus dem Frieden geboren, wie das Brot aus dem Mehl... Seine Dichtung hat wie eine wundersam blühende Winterrose einen Becher Schnee von Göngora, eine Wurzel von Jorge Manrique, eine Blüte von Garcilaso und einen Duft der Trauer von Gustavo Adolfo Bec-quer. Das heißt, in seinem kristallenen Kelch vermischen sich Spaniens Gesänge."

Rafael Alberti wurde in einer unerwarteten Gewitternacht am 16. Dezember 1902 in Puerto de Santa Maria bei Cädiz (Andalusien) geboren. Dort verbrachte er seine Kindheit und besuchte das Jesuitenkolleg. Mit fünfzehn Jahren ging er in die Hauptstadt Madrid und versuchte sich erst als ku-bistischer Maler auf den Ausstellungen im Herbstsalon 1920 und ein Jahr später im Ateneo, bevor er sich endgültig für die Poesie entschied. Dort lernte er neben den Dichtern seiner Zeit den Cineasten Luis Bunuel und den Maler Salvador Dali kennen. Gemeinsam mit Gerardo Diego erhielt der damals 23jährige Alberti 1925 völlig unerwartet den Nationalen Literaturpreis Spaniens für sein poetisches Erstlingswerk „Der Matrose an Land", in dem er andalusische Themen neopopularistisch gestaltete.

Von der regionalen Eingebunden-heit seiner Lyrik entfernte sich der junge Rafael Alberti, als er sich den surrealistischen Innovationen zuwandte und vier Jahre später seinen berühmten Zyklus „Von den Engeln" schrieb. In Spanien gründeten sich fortan zwei moderne Traditionen, die das Motiv des Engels und der Stille poetisch thematisierten, ausgehend vom katalanischen Autor kubanischer Herkunft Eugenio d'Ors (1882-1954) und vom Andalusier Rafael Alberti. Eine davon unabhängige dritte, den japanischen Kurzformen des Haiku und Tanka anverwandelte poetische Tradition wurde erst in den achtziger Jahren durch den 1956 in Madrid gebürtigen Poeten Juan Carlos Sunen hervorgebracht, der die Stille als „einen Engel, gefangen in der Stille" ansieht, wo die Stille und das Wort zu Poesie werden.

Rafael Alberti, der zwei Jahre nach der Veröffentlichung seines Engelszyklus in die Kommunistische Partei eintrat, entfaltete fortan eine rege Reisetätigkeit, unter anderem nach Deutschland, wo er eineinhalb Jahre lebte, die nationalsozialistischen Umtriebe mitbekam und bei der Machtergreifung Hitlers gerade in Berlin weilte, bevor er dann nach Frankreich ausreisen mußte. Weitere Reisen führten nach Moskau, New York und Havanna, während in seiner Dichtung sinngemäß eine politisch engagierte Erweiterung stattfand, die ihn als bewußten Dichter seiner Epoche immer stärker prägte und ebenfalls berühmt machte wie seine vorherigen Werkphasen, dys volkstümlichen, dadaistisch-surrealen oder geistig-abstrakten Charakters waren.

Im Bürgerkrieg betätigte sich Alberti als Funktionär und verfaßte Kampflieder für die Front. Nach der republikanischen Niederlage floh er 1940 über Frankreich nach Buenos' Aires ins erste Exil, das 24 Jahre andauerte und poetisch überaus fruchtbar war, getragen von der Sehnsucht nach Andalusien und Spanien. So beendete er 1959 das zweite Buch seiner autobiographischen Erinnerungen „Der Verlorene Hain", das die Zeit von 1917-31 umfaßt, außerhalb der argentinischen Metropole im neuen amerikanischen verlorenen Hain von Castelar, wo er sich ein Haus baute. Schließlich kehrte er 1963 nach Europa zurück und ging für 15 Jahre ins zweite Exil nach Rom. Dort entstand 1968 der Gedichtband „Rom: Gefahr für Fußgänger", aus dem die zwei Verse stammen: „Katzenverriicktes Rom. Was für ein Gedicht / hätte Lope de Vega hier geschrieben!"

Die spätere Lyrik Rafael Albertis ist zunehmend durchsetzt mit ironischen Punkten und einem Hauch Melancholie, in verhaltenem Parlan-do gehalten und auf spontane Momentaufnahmen reduziert. Aber seine poetische Kraft ist nicht verloren gegangen, während sich die langersehnte Region seiner Herkunft, die Alberti nun wieder besuchen konnte, nur noch in seiner Erinnerung unberührt erhielt, indes auch hier die Zeit ihre unmißverständlichen Spuren hinterließ: „Durch jene Pinienhaine bist du / mit deinem Hund gegangen, / hast von Eidechsen geträumt. / Jetzt stehen hier Wolkenkratzer. /Bloß das Meer blieb übrig. / Schwächer sein Gesang."

Dank der großartigen Leistung seiner deutschsprachigen Übersetzer -Erich und Katja Arendt, Hans Leopold Davi, Joachim A. Frank, Hans-Jürgen Heise, Curt Meyer-Clason, Erwin Walter Palm und Fritz Vogelsang - ist es heuer alles andere als zu spät, die umfangreiche Auswahl seiner Werke aus den Katakomben der Bibliotheken und dem Asyl der Verlagslager und Buchregale zu befreien und den großen andalusischen Dichter Rafael Alberti wiederzuentdecken.

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