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Die Spur im Sand

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FEDERICO GARCIA LORCA. Von Günter W. Lorenz. Stahlberg-Verlag, Karlsruhe. 306 Seiten. Mit 8 Photo und einem Faksimile. Preis 18.50 DM.

Die Zeittafel im Anhang dieser ersten deutschsprachigen Lorca-Monographie beginnt mit der Besiedlung Südiberiens durch die Phöniker, 1100 v. Chr., und endet mit der ersten Aufführung eines Lorca-Stücks nach 26jähriger Pause in Madrid am 21. Oktober 1960. Der Autor stellt also seinen über alles geliebten und bewunderten Helden in einen größeren Rahmen: den der spanischen Kulturgeschichte mit ihren tragischen Peripetien, ihrer Weltweite und ihrem Provinzialismus, deren Träger Menschen waren, die ebenso herzlich und treu wie unbarmherzig grausam sein konnten. Der junge deutsche Autor hat all das selbst erfahren, er hat sich lange genug in Spanien aufgehalten, um als ein wirklicher Kenner (nicht nur Liebhaber) der spanischen Verhältnisse und des spanischen Volks das Wort ergreifen zu können. Freilich stünde ein Urteil über des Autors Kompetenz nur einem Spanier zu. Aber was zu leisten ist, hat er, so scheint uns, geleistet. Er folgte der Lebensspur Federico Garcia Lorcas — unterstützt von zahlreichen Freunden, gehemmt von der spanischen Bürokratie —, von der Jugend und den Studienjahren in Granada, Madrid und New York, bis sie sich in einem blutigen Rinnsal, im Sand der Schlucht von Viznar bei Granada, am 19. August 1936 verliert.

Federico Garcia Lorca wurde 1898 als Sohn eines Großgrundbesitzers in Fuente-vaqueros, zwölf Kilometer von Granada entfernt, geboren. Unter seinen Hauslehrern war auch ein Schüler Verdis, der Komponist Antonio Segura. Aber bald nahm sich ein Bedeutenderer des jungen Lorca an: Manuel de Falla. Dann kam Lorca in ein von Mönchen geleitetes Colegio, eine teuere Internatsschule in Almeria. Schwere Krankheiten verursachten vorübergehende Lähmungen sowie eine bleibende Sprech- und Gehbehinderung. Schon als Student begegnete Lorca dem politischen Treiben, vor allem dem Ernst der politischen Lage mit einem Des-interessement und einer Sorglosigkeit, die ihm später zum Verhängnis werden sollten: Während auf den Straßen von Madrid die Studenten, seine Kollegen, für den deportierten Unamuno demonstrierten, saß er über seinen Gedichten und war mit Gitarre- und Puppenspiel beschäftigt. In Granada erfüllt sich ihm ein alter Wunsch: Er darf eine eigene literarische Zeitschrift herausgeben; sie heißt „El Gallo“ und bringt es auf ganze drei Nummern. Im Frühjahr 1929 reist er von

Madrid über Paris, London, Oxford und Schottland nach New York, das damalige Zentrum freiheitlichen spanischen Geistes. Am Instituto Hispanoamericano will er das Doktorat machen und womöglich eine Professur für Literatur an der Columbia-

Universität bekommen. Er hält mehrere Vorträge, vor allem über spanische folkloristische Themen, und kommt als Vortragender auch nach Kuba (La Habana).

In Madrid sind inzwischen Unruhen ausgebrochen, und Lorca gerät mitten in das politische Treiben. Nach Demonstrationen gegen Primo de Rivera dankt Alphons XIII. ab und verläßt das Land. Lorca führt sein Bohemeleben weiter, seine alten Freunde und neue Männer suchen Verbindung zu ihm, und im Auftrag des neuen

Kulturministers erhält er einen Auftrag: Mit seinem Freund Ugarte wird er an die Spitze eines von der Universität Madrid mitbetreuten Studentenwandertheaters gestellt. Das Ensemble nennt sich „La Bar-räca“ und spielt Calderön, Lope de Vega, Tirso de Molina und Cervantes. Inzwischen haben Lorcas eigene Kammerspiele die Bühnen von Madrid erobert. 1933 ergeht an ihn die Einladung, für ein Jahr als Gastregisseur, nach Argentinien zu kommen. Verehrung und Begeisterung schlagen ihm dort entgegen, und in Madrid erlebt „Yerma“ die 100. Aufführung. 1934 und 1935 sind die produktivsten und erfolgreichsten Jahre seines Lebens. Für 1936 hat er eine Einladung nach Nordamerika in der Tasche und freut sich besonders auf die Reise quer durch den Kontinent, von New York nach Mexiko. Den Sommerurlaub will er noch vorher bei den Eltern in Granada verbringen. Dann überstürzen sich die politisehen Ereignisse, deren Opfer Lorca wurde. (Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt in den Literarischen Blättern der „Furche“ eine Schilderung von Lorcas letzten Tagen durch G. W. Lorenz bringen.)

Der zweite Teil der vorliegenden Monographie ist dem dichterischen Werk Lorcas gewidmet, dessen Erschließung — obwohl Lorca heute erst 65 Jahre alt wäre — philologische Bemühungen erfordert, als handelte es sich um den Dichter einer längst vergangenen Zeit: vieles ist wohl für immer verschwunden, anderes nur in Fragmenten erhalten, wichtige Quellen versickern im Sand, zahlreiche Gewährsleute, die wichtige Auskünfte erteilt haben, können auch heute nicht mit Namen genannt werden... G. W. Lorenz will, soweit seine Kenntnisse reichen, aufklären, anregen und vor allem korrigieren, wo Fehlurteile im Schwang sind und seiner Meinung nach Fälschungen begangen wurden. Denn es geht ihm nicht nur um Lorca, sondern auch darum, „daß man hinter dem offiziellen Gesicht des heutigen Spanien nicht das Gesicht des wahren Spanien übersehen möge, dieses ausgeblutete, arme, aber noch immer stolze und edle Gesicht“.

Das interessante Buch beschließt ein fünf Druckseiten umfassendes Verzeichnis sämtlicher Aufführungen der Stücke Lorcas in deutscher Sprache an Sprechbühnen, im Fernsehen, im Rundfunk sowie in Opernhäusern (Opern- und Ballettaufführungen) in der Übertragung von Enrique Beck, der dem Biographen Lorcas in vielem behilflich war.

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