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Rhapsodie des Todes

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In der 14. Vorlesung „lieber dramatische Kunst jnd Literatur“ sprach August Wilhelm von Schlegel mit Bezugnahme auf Calderön von der tragischen Wendung, wenn die Ehre ein feindseliges Schicksal für den wird, „welcher ihr nicht Genüge leisten kann, ohne, sein eigenes Glück zu vernichten, oder sogar ein Verbrecher zu werden“. An Calderön erinnert man sich an einigen Stellen bei „Bernarda Albas Haus“ von Federico Garcia Lorca. Am 19. Juni 1936 hat er das Stück, das im Theater in der Josefstadt zur österreichischen Erstaufführung gelangte, beendet. Eine Rhapsodie des Todes — einen Monat später wurde Garcia Lorca ermordet. Diese Rhapsodie war zugleich das Requiem. Man kann es nur aus dem Geiste Spaniens heraus begreifen. „Spanien ist das einzige Land“, so schreibt einmal der Dichter, „wo der Tod ein nationales Schauspiel ist, wo der Tod laute Clairontöne bläst, wenn der Frühling kommt; und Spaniens Kunst wird immer gelenkt von einem schneidenden Dämon, dem sie ihre Verschiedenheit und erfinderische Eigenart verdankt“. Dieser Dämon ist die Ehre, von der Calderön schrieb — im Verlauf der ' soziologischen Entwicklung indes zu einer Fiktion entartend, auch in Bemardas Haus, wo eine Ehrenmaske über die mißhandelte Natur gezogen wurde. Alle Frauen (es ist ein reines Frauenstück) spüren jenseits der Mauern den heißen Atem des Mannes im Sommerwind Andalusiens, auch Mutter Bernarda, die acht Jahre um ihren Mann zu trauern sich, den fünf Töchtern und den Mägden anbefiehlt. Diese Mutter im Schatten, des Todes hat ihr eigenstes Wesen — das Mütterliche — vergessen; sie und ihre Angehörigen haben — was noch schwerer wiegt — alle Bezogenheit auf die, göttliche Schöpfung, auf das Weiterwirkende, We'terzeugende verloren angesichts der Fiktion von Ehre und trotz der zur Schau getragenen gestischen Religiosität. Niemand knechtet aber ungestraft die Natur. Von Anbeginn ist daher klar, daß sich die Natur rächen muß.

Bedauerlich, daß Garcia Lorca sein Stück nicht überarbeitenr könnte. So' wie es nun vor unseren Augen abrollt, ist es eine. Rhapsodie, keine Symphonie, schwächer als „Mariana Pineda“ oder die „Bluthöchzeit“.' Das liegt an der Hauptperson, 'die ganz statisch angelegt ist, an der ungleichen Ausführlichkeit der Charakteristik der Töchter und an Stilelementen, die dem Drama fernliegen — den kurzen, lyrischen Episoden. Seltsam genug, daß gerade von diesen undramatischen Stellen (beispielsweise dort, wo außerhalb des Hauses die Schnitter heimkehren) die eigentliche poetische Wirkung ausgeht und nicht dort, wo Aii gekettete Natur (selten genug) schreit.

Man muß e der Inszenierung Lothar Müthels wohl anrechnen, daß sie das haßgetränkte Schweigen als dramatische Spannfeder ausnützt, in. der oft choreographischen Bewegung, vom asketischen Bühnen? bild unterstützt, Atmosphäre von antikem Zuschnitt erzeugt.. Eine Gestalt wie aus der Antike —man denkt an Furipides — spielt Helene T h i m i g (Bernarda Alba), immer wieder unser Gefühl, das gegen diesen Charakter eingenommen ist, überwindend und .erschütternd. Wo sie schweigt, steht sie da wie ein Steinbild aus mythischer Ferne. Neben dieser großen schauspielerischen Leistung noch ein Stern erster Ordnung: Tilla Durieux (Magd La Ponica). Hier bricht manchmal eine lodernde Flamme der Sinnlichkeit durch, Mahnmal vor der Nacht. Diese beiden Schauspielerinnen konnten auch sprachlich das bringen, was man im Hause, wo einst Jarno wirkte, erwartet. Ansonst wurde oft in dieser Hinsicht gesündigt. Elisabeth Stemberger (Martirio). Ellen Umlauf und Ida Krottendorf.lieferten profilierte Physiognomien.

Der Beifall war gedämpft.

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