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SO STARB GARCIA LORCA

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Der gewaltsame Tod des größten spanischen Dichters der ersten Jahrhunderthälfte hat nicht nur die literarische Öffentlichkeit erschüttert. Er erfolgte in einer Zeit, als es leicht war, Spuren zu verwischen und falsche Gerüchte aus- zusireuen. Der deutsche Publizist Günther W. Lorenz ist dieser blutigen Spur im Sand nachgegangen und hat in jahrelanger Arbeit an Ort und Stelle die Hintergründe des Mordes an Lorca aufgeklärt, ln seinem im Geist eines leidenschaftlichen Engagements geschriebenen Buch „Federico Garda Lorca”, (Stahlberg-Verlag, Karlsruhe) gibt er zugleich auch eine lesenswerte erste Einführung in das dichterische Werk des so früh ums Leben gekommenen Dichters, der dieses Leben so sehr geliebt hat. H. A. F.

Am 16. Juli 1936 traf Federico Garcia Lorca mit der Eisenbahn in Granada ein. Es ist nötig, besondere Betonung auf die Tatsache zu legen, daß Lorca auch in diesem Jahr seinen Urlaub gewohnheitsmäßig in dem Haus seines Vaters zu verbringen beabsichtigte und nur aus diesem und keinem anderen Grund nach Granada gereist war. Wie er während seiner Studentenzeit, aber auch später als berühmter Dichter oft versichert hat, bedeutete ihm der alljährliche Aufenthalt am Ort seiner Kindheit und Jugend körperliche und geistige Erholung. Er schöpfte neue Kräfte und entging zudem den wenig angenehmen Hochsommermonaten in Madrid.

Als Federico Garcia Lorca einen Tag in Granada war, begann in Nordafrika die von General Sanjurjo — der später bei einem mysteriösen Flugzeugunglück umkam und von Franco ersetzt wurde — zusammen mit Hitler und Mussolini vorbereitete Verschwörung der faschistischen Generale gegen die spanische Republik. Am 17. Juli 1936 gab der kleine, bisher wenig hervorgetretene Francisco Franco de Baha- monde im Auftrag Sanjurjos mit seiner Flucht von den Kanarischen Inseln seinen Komplicen das Signal zum Aufstand. Daß diese Verschwörung gegen die Verfassung — auf die auch Franco und seine Gefolgsleute vereidigt waren — und die Republik von langer Hand vorbereitet war, beweist das Faktum, daß kaum aufschlußreiche Nachrichten aus Nordafrika in die Hauptstadt, noch weniger aber in die Provinzen gelangt waren, als allenthalben bereits die faschistische Camarilla im Lande zu putschen begann. Am 18. Juli schoß der falangistische Terror auch in Granada auf.

So kehrte Lorca nach Granada zurück, ohne zu ahnen, daß zwei Tage später aus der ruhigen Provinzstadt ein Hexenkessel entfesselter Gehässigkeit werden sollte. Die Wut der faschistischen Verschwörer, die im Stil randalierender Rowdies durch die Gassen Granadas tobten, richtete sich nicht nur gegen den Dichter, sondern gegen seine Familie. Die geistige Haltung der Garcia Lorca, ihre Bereitschaft, am Aufbau des neuen republikanischen Staates mitzuwirken, ihre Ablehnung aller restaurativen Bestrebungen feudalistisch gesinnter Kreise Spaniens, ihre Befürwortung der Bodenreform, ihre Hilfsbereitschaft gegenüber den Massen verproletari- sierter landwirtschaftlicher Arbeiter — all dies trug ihr den Haß jener Cliquen ein, die nun mit Hilfe des Hitler-Freundes Frafrfefe alten Machtpositionen zürüekgelangen’ und durch willkürliche Unterdrückung breitester Bevölkerungsschichten ihren eigenen Reichtum sichern wollten.

Der Dichter Lorca bedachte nicht, daß der Mensch, der ihm das Höchste auf Erden darstellte, in den Überlegungen totalitärer Machthaber nie eine Rolle spielt. Er glaubte, die Tatsache, keiner Partei anzugehören, könne ihn aus den Ereignissen heraushalten. Außerdem war er der festen Überzeugung gewesen, daß man „einem Dichter” nichts tun, daß man die Welt des Geistes respektieren würde. Er hatte übersehen, daß diese Menschlichkeit, die sein Werk und sein Leben geprägt hat, ein fremder Begriff im Wortschatz von Diktatoren ist. Er glaubte Sich selbst dann noch von den Ereignissen nicht betroffen, als seine Freunde ihn warnten, ihn anflehten, doch Granada zu verlassen, in den Norden zurückzukehren oder ins Ausland zu gehen. Er lachte darüber, hielt die Wohlmeinenden für Pessimisten und Überängstliche. In Wirklichkeit hätte er nie die Flucht als Ausweg gewählt Dafür war er zu sehr Spanier, zu sehr Andalusier. Er kannte keinen billigen Kompromiß. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, den Verfolgungen durch die Abreise nach Amerika zu entgehen. Er tat es nicht. Er hatte seine Vorstellungen von der Welt. Und weil er glaubte, daß diese Vorstellungen gut waren, erwartete er — und darin war er ganz „weltfremder” Dichter —, daß auch seine Gegner das anerkennen würden. Er, der so oft den Haß geschildert hat, den Ausbruch des Barbarischen, Teuflischen im Menschen, glaubte dagegen gefeit zu sein. Trotz seines scharfen Blickes für die Realität war er Idealist, und wie alle Idealisten war er blind für die eigene Gefährdung.

Unmittelbar nach Beginn des Aufstandes wurde Doktor Manuel Fernandez Montesinos, Gatte von Concepciön Garcia Lorca und Schwager des Dichters, Arzt, Bürgermeister von Granada und Präsident der Gewerkschaften, von den Faschisten verhaftet und am 3. August 1936 erschossen, zusammen mit den meisten Stadträten Granadas, die nicht der falangistischen Partei angehörten. Doktor Montesinos liegt heute in seinem Familiengrab auf dem Friedhof zu Granada begraben. Das gleiche Schicksal erlitt Lorcas Freund, der Pianist Medina.

Aber auch nach diesen Vorfällen war Lorca noch davon überzeugt, daß es sich um politische Vorgänge handelte, die ihn nicht direkt betrafen. Er erkannte nicht, daß der Haß der Faschisten sich gegen seine ganze Familie richtete. Während der Terror in den Straßen von Granada wütete, während allenthalben Blut floß, saß er in dem Haus seiner besorgten Eltern und arbeitete, als wenn ihn die Ereignisse nichts angingen.

Aber eines Tages mußte auch er merken, daß er verfolgt wurde. Freunde berichteten ihm, daß einige führende Faschisten in einem Kaffeehaus davon gesprochen hätten, im Rahmen ihrer „Säuberungsarbeit” müsse nun auch Lorca verschwinden. Da sei ein Mann namens Ramon Ruiz Alonso aufgesprungen, habe einen Stuhl umgeworfen und geschrien: „Das machen wir am besten gleich!” Obwohl Lorca auch dieser Bericht der Freunde nicht glaubwürdig erschien, ließ er sich dazu überreden, das elterliche Haus zu verlassen, um bei •inem Freund, dem faschistischen Dichter Lui Rosales, für sich und seine neuesten Manuskripte Asyl zu suchen. Es war nicht zu früh. Kurz nach Lorcas Flucht drangen Falangisten in das Haus der Garcia Lorca ein und suchten nach Federico.

Luis Rosales, mit Lorca seit seiner Kindheit befreundet, war Mitglied der Falange und gehörte zu deren führenden Männern. Hier glaubte Lorca sich sicher. Und tatsächlich ließ man ihn auch bis zum Abend des 17. August unbehelligt. Um Mitternacht vom 17. zum 18. August — Lorca hatte sich schon zu Bett begeben — fuhr ein Lastwagen mit Falangisten unter dem Kommando des Ramon Ruiz Alonso vor das Haus der Rosales. Die Escuadra Negrą, wie man diese Verhaftungskommandos nannte, drang ein, da Rosales die Tür öffnete, fand Lorca, zwang ihn, sich anzuziehen und schleppte ihn dann gewaltsam aus dem Haus. Er wurde in das Gebäude des faschistischen Gobernador Civil — des Zivilgouvemeurs — gebracht, wo er bis zum Abend des 18. August im Keller offiziell gefangensaß.

Gerüchte von einer „zufälligen” Ermordung sind demnach unwahr. In diesen Zeiten hätte niemand gewagt, in das Haus eines Faschistenführers mit Drohungen einzudringen, wenn nicht ein Wink von oben Vorgelegen hätte. Luis Rosales veröffentlichte später einige Verse, die stark an Lorcas lyrische Schöpfungen erinnern, wobei zu bedenken ist, daß der Verhaftete sich mit seinen letzten Arbeiten in das Haus des Freundes gerettet hatte, von diesen letzten Arbeiten Lorcas aber nie mehr eine Zeile gefunden wurde.

Ramon Ruiz Alonso, der Anführer der Escuadra Negrą, die Lorca fortgeschleppt hatte, war von Beruf Typograph und gehörte der katholischen Partei des 1935 gestürzten Ministerpräsidenten Gil Robles an, der wiederum — als Vorläufer Francos — versucht hatte, sein Amt zu mißbrauchen und eine klerikalfaschistische Diktatur aufzurichten. Robles, des Ruiz Alonso Parteichef, war verantwortlich für die grausame und blutige Unterdrückung der Erhebungen, die 1934 in Asturien und Katalonien als Folge seines Amtsantrittes stattgefunden hatten. Ramon Ruiz Alonso, der Federico Garcia Lorca im Gebäude des Gobernador Civil abgeliefert hatte, überlebte den Bürgerkrieg.

Offensichtlich bestand bei den Faschisten die Absicht, Lorca in aller Eile zu beseitigen. Denn die offizielle Haft im Gouvemeurspalast dauerte nur einen Tag. Im Schutz der Dunkelheit wurde Lorca am Abend des 18. August abgeholt und nach Viznar gebracht, etwa zwanzig Kilometer außerhalb von Granada. Dort, in Viznar, zu Füßen der Sierra de Elvira, wo sich die Straße in unzähligen Windungen zwischen den Felshängen verliert, steht etwas außerhalb des kleinen Dorfes ein großes, rotes Haus, eine wenig schöne, moderne Sommervilla, von der Bevölkerung allgemein „La Colonia” genannt. Dieses Haus hatten sich die Faschisten von Granada vor dem Beginn des Aufstandes als Treffpunkt für ihre illegale Tätigkeit ausgewählt. Dort hatten sie ein Waffenlager angelegt und ihre Pläne für den „Tag X” — den Juli — geschmiedet.

Mit Beginn des’ Bürgerkrieges wurde „La Colonia” das amtliche Hauptquartier der regionalen Falange. Täglich brachten Lastautos die Opfer der Razzien dorthin. Während im Keller, in feuchten, dumpfen Löchern, die Gefangenen auf ihr Urteil warteten, waren im Erdgeschoß die „Diensträume” der Falange eingerichtet. Im ersten Stock des Hauses, im „Salon”, trafen die Aufständischen sich mit ihren Mädchen zum Tanzen. Augenzeugen wissen zu berichten, daß der Betrieb im ersten Stock von „La Colonia” einem parteiinternen Bordell nicht unähnlich war, während in den Kellerräumen die Gefangenen gefoltert, im Erdgeschoß die seitenlangen Listen mit den Todesurteilen geschrieben wurden.

Das Kommando’ in Viznar führte der seiner Grausamkeit und Rachsucht wegen in der ganzen Provinz Granada gefürchtete und gehaßte falangistische Hauptmann Nestares. Er organisierte Folterungen und kommandierte Erschießungen. Ihm wurde Federico Garcia Lorca am Abend de 18. Juli übergeben. Nestares ließ ihn im Keller einsperren, noch vor Morgengrauen aber wieder vorführen, fesseln und von einer starken Eskorte und zusammen mit einigen anderen Antifaschisten, deren Namen nicht mehr bekannt sind, zur Hinrichtung führen.

Die gefesselten Häftlinge wurden etwa eine Viertelstunde weit an bebauten Feldern vorbei, dann über den Camino de la Fuente bis in die Nähe der Quelle im Barranco, in der Schlucht von Viznar eskortiert, wo der Weg endet und nur noch ein schmaler Fußsteig an einem meist trockenen Bachbett entlangführt. In der Nähe einer Brücke trieben die Wächter die Opfer in die Schlucht hinunter, wo sie sich in dem sandigen, trockenen Boden selbst ein Massengrab schaufeln mußten.

Der Barranco de Viznar liegt bereits in den Bergen. Uber der Stelle, wo Lorca sich sein Grab aushob, befindet sich ein Felsplateau, von dem aus der Blick weit über die grüne und fruchtbare Ebene der Vega reicht, aus der entfernte Stimmen und das heisere Gebrüll von Stieren herüberklingen. Dort, in der Vega, liegt auch — sichtbar von hier aus — Fuentevaqueros, der Geburtsort des Dichters, nur ein paar Kilometer vom Schauplatz des Mordes entfernt. Hinter der Schlucht ragen die steilen, roten Schieferwände der Sierra de Elvira auf. Auf einem der Felskegel steht einsam ein Kreuz. Der Böden im Barranco ist so trocken, daß auf ihm nur einige Hyazinthen und Binsen gedeihen. In diesen Sandboden, der bläulich schimmert, gruben die „Delinquenten” ihre Gräber.

Dann kam ein falangistischer „Priester”, der den Opfern die Beichte abnahm. Die Guardia Civil hatte überdies den alten Pfarrer von Viznar gezwungen, bei der Exekution zugegen zu sein; das war Vorschrift.

Der Morgen des 19. August dämmerte über der Vega herauf und kroch in die Täler der Sierra. Für gewöhnlich wurde die Szenerie solcher Massenhinrichtungen von Autoscheinwerfern beleuchtet, die von der kaum fünfzig Meter entfernten Brücke herüberstrahlten. Diesmal war es später. Der aufgehende Tag beleuchtete die Gesichter der Opfer, als sie von den Schüssen ihrer Mörder zu Boden gestreckt wurden.

19. August 1936: Federico Garcia Lorca ermordet! Die Zeitungen Madrids brachten in den nächsten Tagen diese Meldung in Schlagzeilen. Noch war Madrid im Besitz der Republikaner. Aus aller Welt trafen Telegramme in der Hauptstadt ein, weil niemand glauben wollte, daß das Unvorstellbare geschehen sein könnte. Carlos Moria Lynch bekam aus Chile ein Kabel, das nur ein Wort enthielt: „Federico.”

19. August 1936. Auf den Tag genau zwei Monate vorher, am 19. Juni 1936, hatte Federico Garcia Lorca in Madrid die letzten Sätze seines Dramas „La casa de Bernarda Alba” geschrieben. Sätze, die wie eine Vorahnung sich lesen:

„Kein Geklage. Dem Tod muß man ins Gesicht sehen… Tränen, wenn du allein bist! Wir alle tauchen in ein Meer von Trauer. Schweigen… Schweigen!”

In das Meer von Trauer tauchte Spanien, nachdem an diesem 19. August Federico Garcia Lorca ermordet worden war. Er, der mit dem Tod während seines ganzen Lebens so vertraut war, „der Andalusier, an Wagnis so reich”, wie es im „Llanto por Ignacio Sanchez Me jis” steht, hatte im „Cante Kondo”, viele Jahre vor seiner Ermordung, ein Gedicht geschrieben, das den Titel „Memento” trägt und mit den ahnungsvollen Zeilen beginnt: Wenn dereinst ich sterbe, begrabt mich mit meiner Gitarre unter dem Sande.

Sie begruben ihn unter dem Sand, schnell und hastig. Sie stampften den Boden mit den Füßen, um keine Spuren von der Untat zeugen zu lassen. Am 20. August 1936 führte die faschistische Zeitung von Granada, „Ideal”, in der täglichen Liste der Erschossenen auch den Namen Federico Garcia Lorca auf; fortan sollte der Name in Spanien verpönt sein. Das Grab des Dichters wird vielleicht nicht mehr gefunden werden; denn die Beseitigung aller Spuren durch die Mörder, die Jahre und der Wind haben bewirkt, daß der trockene Boden nichts mehr verrät. Die Schlucht von Viznar, die früher ein beliebter Ausflugsort war, wo man das Wasser der Quelle trank und die Kinder im Sand spielen ließ, ist verödet, denn die Bevölkerung meidet sie. Die Bewohnerder umliegenden Dörfer glauben, daß die Geister der Ermordeten in ihr umgehen, und sie fürchten sie, wie sie die Guardia Civil fürchten.

An der Stelle aber, wo Lorca vermutlich von seinen Mördern eingescharrt wurde, soll ein Unbekannter angeblich ein winziges Kreuz in den dürren Stamm eines toten, vertrockneten Olivenbaumes geschnitten haben.

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