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Bei Lorcas Schwester

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Madrid, Avenida de Alfonso XIII. Die Nr. 75 ist ein mittelgroßes Apartmenthaus aus neuerer Zeit. Im Gartentrakt, erster Stock, wohnt Dona Isabel Garcia Lorca, die letzte noch lebende Schwester des vor genau fünfzig Jahren ermordeten Dichters.

Am Klingelbrett kein Name -um Einlaß zu finden, muß man die Türnummer wissen. Ein Mann um die fünfzig kommt mir ins Stiegenhaus entgegen: Es ist Neffe Manuel, der der inzwischen achtzig gewordenen „Hauptaktionä-rin“ unter den Lorca-Erben einen Teil der Arbeit abnimmt. Wir unterhalten uns auf deutsch: Manuel Fernändez Montesinos hat in Frankfurt studiert.

Uber die Ereignisse vom August 1936 sind die beiden in all den Jahren bis zum Überdruß ausgefragt worden. Erst seit der irische Hi-spanist Ian Gibson bis ins kleinste Detail „Lorcas Tod“ (so der Titel des daraus resultierenden Buches) rekonstruiert, die Schuldfrage geklärt und Wirklichkeit von Legende geschieden hat, ist es ruhiger geworden — nun also kann man sich mit ganzer Kraft dem Dienst am Werk widmen. Im Nach-Franco-Spanien, das alle Verbreitungsbeschränkungen von einst aufgehoben hat, ist Lorca-Erbe zu sein eine Beschäftigung, die den ganzen Tag ausfüllt. Dona Isabel kümmert sich ums Inland, Neffe Manuel um Ubersee und den deutschsprachigen Raum - längst hat sich der gelernte Jurist, um der Sache gewachsen zu sein, auch ins Literaturstudium gestürzt.

Federico Garcia Lorca hätte keine weitere Zeüe zu schreiben brauchen: Auch von dem, was vorliegt, wäre er heute ein steinreicher Mann. „Bernarda Albas Haus“ ist das meistgespielte Stück, „Dichter in New York“ der meistgedruckte Text. Spanien, Frankreich und Italien führen auf dem Buch-, Deutschland auf dem Theatersektor.

Während Dona Isabel das Kaffeewasser aufsetzt, darf ich mich im Salon umsehen. An einer der Wände Lorca-Zeichnungen — Tuschfeder, Bleistift und Wachsfarben. Manches davon war schon in Ausstellungen zu sehen, auch im Ausland - heute gesuchte Raritäten. Den Raum beherrschend: der kostbare alte Flügel, auf dem Lorca, aber auch sein Lehrer und Freund Manuel de Falla und Arthur Rubinstein gespielt haben. Während der Bürgerkriegs-Bombenabwürfe über Granada sollen furchtsame Familienmitglieder unter dem Instrument Schutz gesucht haben. Wie hat die Schwester des Dichters die Katastrophe vom August 1936 erlebt?

1934 hatte Isabel Garcia Lorca, acht Jahre jünger als ihr Bruder, das Universitätsstudium abgeschlossen und trat ihre erste Stelle als Lehrerin an — für zwei Jahre. Um in den Staatsdienst übernommen zu werden, wäre nur noch eine Zusatzprüfung nötig gewesen, und auf die bereitete sie sich gerade vor, als im Sommer 1936 die Bürgerkriegsunruhen einsetzten. Sie war mitten im Büffeln, als sie plötzlich ans Telefon gerufen wurde: Federico erschossen! An Heimkehr nach Granada war nicht zu denken: Die Stadt war bereits in der Hand der Falangi-sten. Erst im Oktober gelang ihr, allein in Madrid, die Ausreise nach Brüssel, wo ihr zweiter Bruder Francisco als Sekretär an der Spanischen Botschaft tätig war, und ihm (sowie dem Rest der Familie) folgte sie über London ins amerikanische Exil.

1951 wagte man die Rückkehr ins franquistische Spanien. Lorca und sein Werk waren nach wie vor offiziell tabu, nur südamerikanische Ausgaben seiner Bücher kursierten unter der Hand. Doch mit den Jahren wurde der Druck seitens der intellektuellen Jugend stärker und stärker, und so kam es noch 1954, wenngleich in sündteurer Luxusedition, zur Herausgabe der „obras completas“ im Madrider Verlag Aguilar.

Auch heute, fünfunddreißig Jahre später, hält die Lorca-Nachholbedarfsdeckung in Spanien an. Da fragen Schulen an, ob sie sich mit dem Namen des Dichters schmücken dürfen, da werden Straßen und Stadtviertel nach ihm benannt, Büchereien und Bühnen, und manches davon erfahren die Erben, wenn überhaupt, bloß durch Zufall: etwa, wenn eines Tages in den Fernsehnachrichten von einer Schiffskol-lision die Rede ist, an der ein Frachter namens „Federico Garcia Lorca“ beteiligt gewesen sei.

Keine Nachlaßpflege ohne Sorge: Als vor einigen Jahren die Sensationsmeldung um die Welt ging, eine Einbrecherbande habe die Schließfächer einer Bank im Prominentenbad Marbella aufgebrochen und Millionenbeute gemacht, werden die Lorca-Erben gewiß mit gemischten Gefühlen an die Banksafes gedacht haben, in denen die Originalmanuskripte des Dichters deponiert sind, und als sie jüngst bei einer Kunstauktion drei Lorca-Graphiken zurückkaufen wollten, stellte sich heraus, daß alle drei Fälschungen waren...

Umso gelassener denkt Dona Isabel heute über das Trauma von 1936. Noch immer, so weiß man, sind ja nicht alle Schuldigen von damals tot. Unbehelligt leben zwei von ihnen im Spanien von heute. Könnte sie sich deren strafrechtliche Verfolgung vorstellen? Liegt ihr an später Sühne, an Rache? Die Schwester des Dichters verneint vehement:

„Nicht nur, daß dies nach spanischem Recht unmöglich wäre, hat auch unsere Familie keinerlei Interesse daran. Für diejenigen, die klar sehen wollen, ist alles klar. Und die anderen wollen nicht klar sehen.“

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