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Legende von Liebe und Tod

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Salzburg, Ende März.

Das Salzburger Landestheater hat nach einer Zeit der Stagnation und nach einigen peinlich empfundenen Stücken wie „Immer wieder wird es Sonntag“ und „Die lockere Odette“, die in der Tat allzu locker war, wieder zur Literatur zurückgefunden. Nun, da man hört, daß der Vertrag mit Direktor Peter Stanchina nicht mehr erneuert wird — die Kritik stand in letzter Zeit seiner Programmgestaltung . und seinen Inszenierungen immer ablehnender gegenüber — scheint es seine Absicht zu sein, sich einen günstigen Abgang zu sichern. Mit Csokors „3. November 1918“ und Zuckmayers „Kaltem Licht“ hat er wieder Anschluß an die Lite-tatur gefunden und ein sehr ernst zu nehmendes und ein immerhin vieldiskutiertes Schauspiel aufgeführt. Nun hat er, um seine neuerwachten Bemühungen um die Literatur noch zu unterstreichen, die lyrische Tragödie „Bluthochzeit“ von Federico Garcia Lorca aufgeführt, ein viel zu selten gespieltes Theaterstück, daß einem, je öfter man es sieht oder liest, desto wesentlicher erscheint. Es ist eine der lautersten und tiefsten Tragödien, die Dichter in unserem Jahrhundert geschrieben haben. Denn hier bei Lorca sind alle Dinge am Ursprung. Hier wird das Leben in seinem Kreislauf von Geburt, Hochzeit und Tod noch als Mysterium empfunden und gelebt.

Lorcas „Bluthochzeit“, die Wien vor einigen Jahren (ebenfalls in der nicht immer sehr gelungenen Ueber-setzung von Enrique Beck) im Akademietheater kennenlernte, handelt nicht von einem Einzelfall; echte Tragik ist niemals individuell, sondern betrifft jeden Menschen: denn an ihr ist nichts zufällig; das, was sie ausmacht, entsteht an der Wurzel aller Dinge, dort wo das Blut noch Blut ist. Und Blut, das heißt: Liebe. Und Blut, das heißt: Tod. Diese innige Verschlingung von Liebe und Tod wird hier im Bilde einer Hochzeit sichtbar gemacht. Einzigartig ist bei Lorca die Verschlingung von mythisch-archaischem Gedankengut (das etwa im Mond, der als Person auf der Bühne erscheint und in die Handlung eingreift) und christlichem Glauben Gestalt geworden: eine Verbindung, die nichts Gewolltes an sich hat, sondern ans der Tiefe der Seele kommt. Ueberhaupt gehört alles, was Lorca auf der Bühne geschehen läßt, einem inneren, seelischen Bereich an, den er aber an keiner Stelle abstrakt ausspricht, sondern durch eine einfache, überzeugende Fabel und eine bildergesättigte Sprache fühlbar und greifbar macht. Die Welt der Bilder, die uns Lorca gibt, ist von Erschütternder Transparenz und Transzendenz, die alles Vergängliche zum Gleichnis macht. Jede Orangenblüte, jede Nelke ist ein Zeichen, Zeichen für ein Leben, in dem die Messe und die Sakramente, in dem Liebe und Tod ihren festen Platz haben.

Die Regie von Fritz H a n e k e wurde der schweren Aufgabe nach Kräften gerecht und brachte eine würdige Aufführung zustande. Immer wieder empfand man es, daß hier ein Vorgang gezeigt wurde, der nicht bloßes Theater war, wie wir es gewöhnlich zu sehen bekommen (also: unverbindlich), sondern ein Vorgang, der alle betraf, eine Zeremonie, ähnlich wie die Dramen Shakespeares als Zeremonien aufzufassen sind. Zwar war der Text Lorcas unverständlicherweise an einigen Stellen gekürzt worden (zu was sind eigentlich Dramaturgen da, wenn nicht zum Kürzen?), aber doch nicht so, daß das Spiel stark gelitten hätte. Ein Hinweis noch für das Programmheft: Romano Guardin heißt in Wirklichkeit Guardini und Carcia Lorca richtig Garcia Lorca. — Dem Salzburger Landestheater aber sei für einen schönen Abend gedankt.

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