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Lorca in der Josefstadt

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Federico Garcia Lorca nennt sein Drama „Mariana Pineda“ eine „volkstümliche Romanze“. Die historische Mariana Pineda war eine vornehme Dame, die am 26. Mai 1831 in Granada gehenkt wurde, weil sie mit den Liberalen sympathisierte, die dem spanischen Volke eine Verfassung erkämpfen wollten. Für Pedro Sotomayor, einen der Führer dieser Konspiration, stickte sie die Fahne der Freiheit. Der Statthalter Pedrosa entdeckt diese ihre Verbindungen, läßt sie verhaften und, da sie sich weigert, die Namen der Verschworenen ihm preiszugeben, hängen. — Aus dieser Historie wird durch Garcia Lorca Geschichte. Geschichte, wie das Volk, wie sein Volk, für das er selbst lebte und starb, es versteht: ein immer wiederkehrendes Geschehen von Liebe, Tod und Leid, von Treue und Untreue. Spanische Bauern singen heute noch, wenn sie auf ihren kleinen Eseln über die harte Erde, die gelbe Erde unter einer roten, oft erbarmungslosen Sonne reiten, Romanzen, die in schier endlosen langen Strophen das ewige Geschehen in der Natur und im Menschenherzen kunstvoll verweben mit einigen einmaligen historischen Exempeln: alles ist da Gegenwart, weil das Leid und die Hoffnung der Vergangenheit verschmilzt mit der Hoffnung und dem Schmerz der Zukunft, und alles ist da Farbe, Form, Vers, Sang, Musik. Lorca, in dem der mächtige Genius Spaniens eine seiner vielen Wiedergeburten erfahren hat, weiß um das Geheimnis der intimen Verbundenheit von Innen und Außen, von „Kleinem“ und „Großem“, von Alltäglichem und Ewigem. Lorca ist ein Dichter. Seine Bühnenstücke sind Dichtungen wie, anders und doch verwandt, die wundersamen Versdramen des Engländers Christopher Fry. Beide vermögen uns zu bezaubern, zu verzaubern: sie verstehen es, jene geheime Kommunikation des Publikums mit den Personen auf der Bühne herzustellen, die aus dem Theater eine Gemeinde macht von Menschen, die mitschwingen in dem Rhythmus des Dramas. Beide wissen um die Faszination, die jede echte Ambivalenz und jede echte Verdichtung von scheinbar unvereinbaren Gegensätzen ausübt. Die Frau Mariana Pineda steht bei Lorca ihrem Schicksal, ihrem Tod nicht nur gegenüber, sondern sie ist dieses Schicksal, ist dieser Tod, so wie sie die Freiheit ist, wie sie selbst kurz vor ihrem Sterben sagt. Der Tod ist in Spanien immer eine Frau, er ist die große Mutter, ist das Volk, ist das Land, das mitten durch viele Tode und Untergänge zu neuen Geburten drängt. Mariana ist also nicht einfach nur leidgezeichnet, dem Tode vorbestimmt, wie vielleicht Menschen einer nordischen Tragödie, sondern sie trägt diesen Tod tief in sich, wie ein Kind. Es scheint mir eine der hervorragendsten Leistungen Hilde Krahls als Mariana zu sein (ihr Gatte Wolfgang Liebeneiner führt Regie), daß sie diese Identität von Tod und Leben in ihrer Gestaltung der Mariana Pineda vom ersten stockenden Herzschlag an, mit dem sie die Bühne betritt, durchhält, in Gesicht, Gebärde, Wort und Wesensart. Eine andere Ambivalenz kommt leider in der sehenswerten Wiener Aufführung der Josefstadt weniger deutlich sichtbar zum Ausdruck: auch die Männer, die um sie kämpfen, sind im letzten eines — sind der Mann, mit seiner Brutalität, Leidenschaft, Härte, Treulosigkeit und unleugbaren politischen und kämpferischen Begabung. Pedro und Pedrosa, der geliebte Führer der Erhebung, und der gehaßte Büttel des fernen Königs sind nicht nur durch die Wurzel ihres Namens verbunden, sie sind zwei Masken einer , Rolle. — In der sorgfältig betreuten Aufführung der Josefstadt fallen die Bühnenbilder von Werner Schlichting und, als Szene, die meisterlich gestaltete Zusammenkunft der Verschworenen in Marianas Haus auf. — Es steht zu hoffen, daß diese Lorca-Premiere, die dritte in Wien, mit ein Anlaß sein möge, jenes „festliche Theater“ weiter zu pflegen, das hier intendiert wird, und daß die Dichtung hiermit wieder mehr als bisher eine Heimstatt auf Wiens Bühnen finden möge.

Das Volkstheater bringt zur Faschingszeit den alten Schlager „Der Garten Eden“ von Oesterreieher und Bernauer. Die Kinder, sie sehen es gerne: wie da das brave Mädel, die Tilly (Traute Waßler), dem reichen und vornehmen und auch so schwachen Bräutigam und seiner eingebildeten Sippe wenige Minuten vor der Hochzeit davonläuft, weil diese ihre niedere Herkunft Und ihre frühere'Tätigkeit als Liedersängerin in einem Tingeltangel nicht ertragen können. — Der Spaße gibt es genug zu sehen und auch zu hören in diesem Spielchen um die halbe Welt der Zwischenzeit nach dem ersten Weltkrieg. — Die Neuaufführung dieses alten, zugkräftigen Kassenmagneten darf als eine Rücksichtnahme auf die Kasse, den Fasching, die Besucher vom u Land“ verstanden werden.

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