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Blut und Geist

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Rostands „CyranovonBergerac“ im Burgtheater. Man kann dieses Bravourstück, das unsere Großmütter entzückte, als Edelkitsch abtun. Vielleicht sollte man vorsichtiger sein: welche Perspektiven stehen immer noch hinter der Liebe des Edelmanns und Literaten Cyrano zur schönen Roxane! 600 Jahre europäische Seelen- und Gesellschaftskultur, vom Minnesang und dolce stil nuovo zu Petrarca, zum Humanismus, zu Don Quixote. Die große, übergroße Nase Cyranos ist immer noch das kleine, aber gültige Abbild weltgeschichtlicher Bresthaftig-keiten, die von Paulus zu Pascal, zum Krüppel Watteau, zum Buckel Kierkegaards weisen. Dem Gezeichneten zerbricht die Welt in Gegensätze, und er sucht sie zu meistern, durch bewußte Pflege des Geistes, der Seele, der schönen Form. — Daß man zwischen den Szenen auch über solche Dinge bei der Neuinszenierung der Burg nachdenken kann, ist das Verdienst der hervorragenden Regie Rotts und der prächtigen Leistung Albin Skodas, die keinen Wunsch offen läßt. Skoda, der auf alles Männische bewußt verzichtet, läßt die spirituelle Dimension ahnen, aus der dieser Cyrano als Spätblüte wächst. Die Aufführung hätte noch gewonnen, wenn der Schlußakt mit seinen larmoyanten gedehnten Sentimentalitäten kräftig zusammengestrichen worden wäre.

Nun zieht Federico Garcia y Lorca doch noch auf unsere Bühne ein. Das Akademietheater bringt seine .Bluthochzeit“. Die Schwere, Härte und Ausweglosigkeit bäuerlicher Lebenskonflikte, vermehrt durch die Zerrissenheit spanischer Erde, schildert Lorca in dieser Ballade vom Tod der Männer und vom Durchstehen der Frauen. Lorca, der mit seinem Schauspielerensemble (halb Studio, halb Volksbühne) dieses sein Land der Bauern, der Enterbten und Verstoßenen durchzog, hat im Banne ihrer Leidenschaften seine schönsten Gedichte und seine Dramen geschrieben. Der Mond wurde ihm zum riesigen Auge eines toten Stiers, der, Opfer und Gott zugleich, reglos das Hassen und Lieben des Volkes verfolgt. Die große Schwierigkeit einer mitteleuropäischen Aufführung Lorcas besteht darin, daß seine Erlebnisse — uralte Erfahrungen eines leidgewohnten Volkes — bei uns infolge ihrer lyrischen Formung nur durch Stimmungen wiedergegeben werden können. Dem Bühnenbild Theo Ottos gelingt es ganz, der Regie Gielens gelingt es im ersten Teil, den Blutzauber dieser zutiefst heidnischen Welt (sie ist der reine Gegensatz zu dem „Nicht-aus- dem-Geblüt“ des Johannesprologs) durch Magie des Bildes und der Szenerie zu ersetzen. Der Schlußteil entgleitet ins Theatralische. Trotzdem: Sehenswert die Aufführung, in der neben Helene Thimig und den alten Kräften neue Gäste der Burg, Inge Konradi und Dagny Servaes, hervorragen.

Uraufführung im Theater der Courage: „Die Rassen“ von Ferdinand Bruckner. Dieses 1933 verfaßte Stück führt mitten hinein in die Umbruchskämpfe an der deutschen Universität. Medizinstudenten, die sich dem „Großen Rausch“ verschreiben, ihm unterliegen, sich gegen ihn zur Wehr setzen. Bruckner deutet einiges an über „die Schwäche der deutschen Demokratie“: von dieser jungen Generation sei es versäumt worden, sie stark zu machen. Wie hätte sie es aber anstellen sollen, nachdem, ähnlich wie heute, die Plätze und Positionen längst vergeben waren an die öffentlichen Herumsteher und die Männer von gestern? Bleibt das Hauptproblem: „Deutscher“ — „Jude“; verkörpert durch die Liebe eines „arischen“ Studenten und einer Jüdin. Die Aktualität dieses Problems heute mögen nur die übersehen, die es gestern nicht gewagt haben, sich ihm offen zu stellen; also etwa jene Christen, die gestern nicht begriffen, daß in jedem verfolgten Juden sie selbst mitinbegriffen sind, samt ihrer eigenen Mitschuld an der Judenfrage, die heute nicht begreifen, wie in jedem Verfolgten dieser Erde ihr Gott mitgemeint, mitgeschlagen wird, denen anscheinend erst eine morgige Lektion Grundbegriffe der Menschenrechte mittein wird. Wer zudem noch «twa Luise Riasers flammende Anklage anlaßlich der Jahresfeier der .Kristallnacht* in München vor 14 Tagen nachliest, dem müssen über die Dringlichkeit dieser Fragestellung letzte Zweifel schwinden. — Am Thema liegt es also nicht, wohl aber an der Behandlung: die hitzige, hektische und reißerische Art, in der Bruckner das Problem angeht, mindert die Wirkung des Stückes nicht nur bei jenen, denen es aus vielen Gründen unlieb ist, an sich selber erinnert zu werden. Die Unausge-gewogenheit der Aufführung mindert leider ebenfalls eine mögliche positive Wirkung.

In den Kammerspielen sind die Exel-Leute eingezogen mit John Knittels .Therese Etienne“. Dieses Stück, von uns bei seiner Uraufführung am Ende der letzten Spielzeit besprochen, wird durch die Reprise und teilweise Neubesetzung nicht besser. Beachtlich der Mut, mit der die Exel-Leute es auf ihre Füße zu stellen trachten.

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