Gute Aussichten für Lorca

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Barock und modern: neue Übersetzungen ermöglichen neue Sichtweisen auf Gabriel García Lorca.

In der Schule habe ich Dramenlesen gehasst. Bei Gabriel García Lorcas Stücken (1898-1936), soeben "in neuer Übersetzung" erschienen, mache ich die gegenteilige Erfahrung. Zu lang scheint es her, dass seine Dramen über die Frauen aus dem ländlichen Spanien bei uns auf der Bühne zu sehen waren.

Das Lesen der "andalusischen Tragödien" "Bluthochzeit", "Yerma" und "Bernarda Albas Haus" lenkt die Aufmerksamkeit auf ein mögliches Missverständnis: Bisher wurden Lorcas Stücke als realistische Abbilder eines rückständigen, bigotten Spanien gesehen. Geschrieben von einem Mann, der in der prüden Atmosphäre der 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts qualvoll seine Homosexualität verbergen musste und von Franco-Schergen ermordet und verscharrt wurde.

Spanien hat seit Francos Tod im Jahr 1975 ein anderes, demokratisches Gesicht und das modernste Familienrecht Europas. Sind Lorcas Dokumente der mühevollen und gewaltsamen Modernisierungsgeschichte Spaniens also veraltet? Dass es auf europäischen Bühnen so still geworden ist um ihn, deutet in diese Richtung, ebenso wie die Tatsache, dass er in Krisengebieten wie Bagdad und Ramallah (Palästina) mit großem Erfolg aufgeführt wird. Lorcas Stücke könnten, wie jene von Bertolt Brecht, nicht von den politischen Erschütterungen abgelöst werden, unter denen sie entstanden sind. Das hat man bisher geglaubt.

Die Lektüre nicht nur seiner großen Tragödien, sondern auch seiner experimentellen Stücke, der Puppenspiele, Farcen und der vom Autor selbst als unaufführbar bezeichneten Dramen, könnte der Bühne einen neuen Lorca geben. Der Lorca-Kenner und Lorca-Übersetzer Martin von Koppenfels zeigt in seinem Nachwort überzeugend, dass Lorcas Schauplätze, diese geschlossenen Räume, und seine Figuren "nicht bloßer Reflex bedrückender gesellschaftlicher Verhältnisse sind, sondern künstlerische Notwendigkeit": Lorca hatte den unbedingten Willen zur Stilisierung. Er war kein Naturalist, sondern schuf eine in sich geschlossene Welt, die nur ihren eigenen Gesetzen verpflichtet ist. Das ist das Konzept der Moderne. Um sie mit Leben zu erfüllen, knüpfte er an die Goldene Zeit der spanischen Theaterliteratur an, die er als Leiter einer Studententruppe bis in die entferntesten Dörfer Spaniens brachte: Die Barockgiganten Cervantes, Lope de Vega, Calderon.

Barock sind bei Lorca die sprechenden Namen (Yerma: Die Öde; Alba: Die Weiße, die Morgendämmerung). Barock ist die pralle Bildsprache mit ihrer Rhetorik der Fatalität. Barock sind Chöre, die außerhalb der Handlung stehen. Und barock ist der Anspruch, "eine ganze Welt auf die Bühne zu bringen, die in ihrer Begrenztheit doch das Ganze zu spiegeln vermag." Bernarda Albas vier weiße Wände, in denen sie ihre fünf heiratswütigen Töchter gefangen hält, ist eine Allegorie für das ganze Haus Spanien.

Die wunderbaren Übertragungen von Hans Magnus Enzensberger und drei weiteren Übersetzern könnten/sollten/müssten Regisseure anregen, neue Deutungsmuster für die Verlobungs-, Hochzeits- und Ehedramen, allesamt Verlustgeschichten, diese "modernisierte Version des barocken Schicksalsdramas", zu finden. Außerdem schrieb Lorca Traumrollen für Schauspielerinnen jeden Alters.

Mit diesem Band ist der Schlusspunkt gesetzt hinter eine jahrzehntelang in Fachkreisen bekannte Peinlichkeit der Übersetzungsgeschichte. Lorca kannten Deutschsprechende lange nur in der verquasten "Nachdichtung" Enrique Becks. Es war der inzwischen verstorbene Chef des Suhrkamp Verlags Siegfried Unseld, der dem Spuk ein Ende machte und die Hauptwerke Lorcas trotz verzwickter rechtlicher Situation neu übersetzen ließ. Jetzt kann der Verlag stolz verkünden, alle Stücke "in neuer Übersetzung" anzubieten.

Lorca. Die Stücke

In neuer Übersetzung von Thomas Brovot, Hans Magnus Enzensberger, Susanne Lange, Rudolf Wittkopf.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 2007

566 Seiten, geb., € 32,90

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