6757761-1968_02_15.jpg
Digital In Arbeit

Illusion und Realität

Werbung
Werbung
Werbung

Die Rosa mutabilis ist eine Blume, die nur einen Tag blüht. Am Morgen öffnet sie sich rot wie Blut, im hinsinkenden Nachmittag wird sie weiß, dann fängt sie an, sich zu entblättern. In der Granadiner Dichtung „Dona Rosita bleibt ledig oder Die Sprache der Blumen" von Federico Garda Lorca — derzeit im Volkstheater aufgeführt — gibt es ein Gedicht auf diese Blume, das vor allem Dona Rosita immer wieder zitiert. Rasches Blühen und Vergehen werden zum eindringlichen Sinnbild der vergehenden Zeit.

Dona Rositas Bräutigam, der mit seinem Vater auswandert, will, daß sie auf ihn wartet, er werde wiederkehren. Er schreibt verlogene Liebesbriefe, sie wartet bei ihrer Tante ein Leben lang, obwohl er sich längst verheiratet hat. Sie will nicht wissen, wie die Zeit vergeht, sie ist sich bewußt, daß sie eine gestorbene Hoffnung aufrechterhäR und kann nicht anders. Ein unerfülltes Leben führt die Alternde, ein Dasein treib- haushafter Illusion. Es zeigt sich, daß es letztlich nichts Lebendigeres, fast möchte man sagen, nichts Unheimlicheres gibt als Erinnerungen, weil sie das wirkliche Leben abwürgen. Diese überaus subtile Elegie um das Verdämmern eines Menschenwesens, zugleich auch um verfallenden Wohlstand wird zur ergreifenden Dichtung, in der die einzelnen Figuren und Szenen einzig vom Gefühlsgehalt her fast kontrapunktisch eingesetzt sind.

Zweifellos sollte dieses Stück Gesellschaftsnormen kritisieren, deren Gefangene die spanische Frau war, doch diese Zustände und Einstellungen wirken auf uns fast unverständlich fremd. Leon Epp arbeitet daher als Regisseur den allgemein menschlichen Gehaflit, das'Poetische heraus, es gelingt ihm besonders gut. Julia Gschnitzer gibt der Dona Rosita das Ruhig-Adelige eines ganz nach innen gewendeten Leidens. Elisabeth Epp als vornehm-gütige Tante, Marianne Gerzner als bäuerisch-resolute Haushälterin, Alice Lach als arme Pensionistin und Mutter dreier alter Jungfern bieten die entscheidenden schauspielerischen Eindrücke. Hanns

Grassnitzer glaubt man als Onkel nicht ganz den Blumennarren, Klaus Höring traut man in der Rolle des Verlobten die spätere Treulosigkeit nicht zu, Emst Meister überzeugt als ein von den Schülern gepeinigter alter Lehrer. Die stimmungsstarken naturalistischen Bühnenbilder und die sehr reizvollen Kostüme stammen von Maxi Tschunko.

Arthur Kahane, einst Dramaturg von Max Reinhardt, erklärte, das Drama liefere den Vorwand, an dem sich das Theater auswirken könne. Solcherart verallgemeinert ist diese

Behauptung eine Anmaßung. Aber es gibt Stücke, die tatsächlich nichts als Vorwände für die Entfaltung der Schauspieler sind. Dazu gehört das Lustspiel „Halbe Wahrheiten“ des 29jährigen Engländers Alan Ayck- bourn, das derzeit im Akademietheater zu sehen ist. Ein jüngeres Paar, das heiraten will, und ein älteres Ehepaar werden dadurch zueinander in Beziehung gesetzt, daß zwischen dem Ehemann und der Jungen eine erotische Querverbindung besteht, die nun gelöst werden soll. Dabei bringt der Autor die vier Personen unbekümmert in Situationen, die völlig unglaubwürdig wirken, aber dauernd zu witzigen Mißverständnissen führen. Das Publikum lacht, kümmert sich nicht um die schiefen Situationen, das genügt dem Autor.

Theo Lingen führt gelenkig Regie und spielt den Ehegatten, der von seiner jungen Geliebten verabschiedet wird, mit der an ihm gewohnten perfekten, rein äußerlichen Komik jäher Reaktionen in Wort und signifikanter Geste. Menschlich feiner getönt erweist sich Susi Nicoletti als seine Gattin. Temperamentvollkapriziös gibt Eva Kerbler die junge Eheanwärterin mit einiger Vergangenheit. Ernst Anders überzeugt als ihr Zukünftiger durch sympathische Harmlosigkeit. Die beiden Bühnenbilder von Fritz Brauer wirken etwas brutal in den Farben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung