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Von Männern und Männlichkeit

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Die Uraufführung von Jean Cocteaus „Bacchus" in Paris entfesselte einen Strom von Auseinandersetzungen. Franęois Mauriac verließ entrüstet das Theater, brach seine Beziehungen zu Cocteau ab. Die Wiener Erstaufführung im Volkstheater wird kaum ähnliche Phänomene erregen. Nicht nur, weil das Wiener geistige Klima (wenn von einem solchen gesprochen werden darf) anders ist, sondern vor allem, weil hier Cocteau, wie viele neuere Autoren, wenn sie sich an verwandte Themen wagen, zeigt, wie dünn sein Denken, wie verhaftet es auch ältlichen Schemen ist, die Schulbuchfibeln gleichen. Wenn der atmosphärische Hauch schwindet, diese zitternde, schwebende, mit vielen Menschlichkeiten gesättigte Luft, die um Menschen zwischen den Zeiten, zwischen den Altern, nicht zuletzt zwischen den Geschlechtern west und verwest (bei Cocteau in seinen besten Stücken verschwimmend zwischen einer hellen Geistigkeit und einem diskreten Parfüm), dann bleiben, so hier, einige Phrasen, einige Leseblüten und einige Gestalten, die man in anderen „historischen“ Dramen besser, plastischer gesehen hat. Cocteaus dramatischer Vorwurf ist bedeutend, ist wichtig (gewichtiger als das Stück). In einem innerlich aufgewühlten Deutschland zwischen gestern und morgen wird, in einem äußerlich noch katholisch gebliebenen Lande — das Stück spielt im frühen 16. Jahrhundert — ein junger Bauernbursche zum „Bacchus" gewählt, zum Sieben-Tage-König der Karnevalszeit, dem für diese Periode die Herrschaft über Leben und Tod der Stadt übergeben wird. Drei Fronten stehen einander gegenüber: die schwache katholische Front, verkörpert durch den fürstlichen Standesherrn, den Bischof, den General- provost, dann die lutherisch-protestantische Front, der im geheimen auch die Familie des Fürsten zuneigt, und dann die dritte Front, die hier vertreten wird durch den jungen „Bacchus", der ein Schüler eines wegen Ketzerei verbrannten Lehrers ist. Diese dritte Front hätte eine großartige und tiefgehende Darstellung verdient: sie umfaßt die „Stillen im Lande", einen Teil der Wiedertäufer, die Männer um Sebastian Franck, also alle jene, die tief enttäuscht waren durch das gewalttätige Regime der damaligen Kirchenherren im katholischen, lutherischen und kalvinischen Raum. Deistische und pantheistische, rationalistische und sentimentalische Ideen mischen sich in ihren Trägern mit der Sehnsucht nach einem evangelischen Leben im Sinne der Bergpredigt. Nicht wenige Männer und Frauen dieser dritten Front sind, verfolgt in ganz Europa, untergegangen. Auch in Wien, auch in Oesterreich hat man sie damals verbrannt. Man sollte also nicht sagen, daß dieses Thema unzeitgemäß sei. Leider ist Cocteau in seiner spielerischen Art dem großen Vorwurf nicht gewachsen. Gerade vom Standpunkt seines „frei schwebenden Humanismus" ist ihm der Vorwurf nicht zu ersparen, daß er ein echt-mögliches Anliegen salopp vertan hat. Sein Bacchus ist kein würdiger Repräsentant dieser dritten Front, sondern nur ein liebenswürdiger schwacher Jüngling, der sich zudem irgendwie verliebt in seinen „großen" Gegner, einen aus Rom zur Visitation gekommenen Kardinal, der so aussieht, wie sich die „Gebildeten" unter den Verächtern der römischen Kirche Roms Macht und Weltweisheit vorstellen: stattlich, klug, human (innerhalb der Grenzen seiner Position). Das ausweglose Stück muß der junge Sohn des Fürsten beenden, da Cocteau zu glaubensschwach (schwach in seinen eigenen Ueberzeugungen!) ist und seinem liebenswürdigen jungen Freund mit Recht nicht die Kraft zum echten Martyrium zutraut. — Die sehenswerte Aufführung (Traute Wassler, Egon von Jordan, Herbert Prodinger als Bacchus) zeigt einige prächtige Ansätze. Und einige Sätze bleiben, die den Hinterbliebenen zu denken geben können. Der wichtigste sagt in einem Wort des „Bacchus" an: die Christen haben die Liebensfähigkeit getötet, sie haben Haß, Machtgier und Parteiung an ihre Stelle gesetzt…

Peter Ustinov stellt sich in der J o s e fist a d t mit einer merkwürdigen Harlekinade vor: „Die Liebe der vier Obersten." Auch hier muß vermerkt werden: wat für prachtvolle Möglichkeiten sind im Stoff dieses Stückes enthalten! Die vier Obersten sind nämlich niemand anderer als vier Verkörperungen des russischen, amerikanischen, englischen und französischen Besatzungselements in Deutschland — das Stück will einmal dartun, wie verschieden die Männer in diesen Mächten der Frau begegnen, und dann, zum anderen, wie sich eine letzte Seinsschwäche der Männer dahin auswirkt, daß sie vor der Frau fliehen — in den Betrieb, ins Geschäft, in den Krieg. Welche Gelegenheit wäre hier gegeben, die Welthaltungen dieser Nationen, ihre Liebeskraft und Ohnmacht, darzustellen, die wirklichen Gegensätze zwischen Mutter ländern und Vater ländern. .. Hier aber gehen in Witzeleien, im Versuch von vier Parodien auf amerikanische, englische, französische und russische Autoren, die möglichen guten Vorsätze und Ansätze unter. Eine Mischung von Kabarett und Praterbarock versetzt die vier Obersten in ein Zauberschloß, das im allerersten Akt uns für Momente in wirkliche. Erwartung versetzt — die Verheißung eines Kafkaschen „Schlosses" (wie es der Roman schaut), um uns dann um so gründlicher zu enttäuschen und zu langweilen. Vielleicht kann eine weniger zahme Aufführung, die das Grotesk-Makrabe, Tragikomische in diesen vier Harlekinen scharf herausarbeiten würde, dieses Stück reif machen für ein politisches Kabarett, eine Mitternachtsbühne (scharf zusammengestrichen). Hier verschwimmt leider alles in Bonhomien, in Ironisierungen, denen die Kraft der Charakterisierung und das Salz des leiderfahrenen Witzes fehlt. Hebenstreit als russischem Oberst, gelingt eine Akzentuierung, die diese Möglichkeit andeutet.

Eine schöne, nachdenklich stimmende Aufführung der „M inna von Barnhelm" im Akademietheater 1 Käthe Gold als Minna, entzückend Frau Kramer als Franziska; Moog, Hermann Thimig; Ewald Balser, der sich, obwohl erkrankt, der Premiere als Teilheim nicht entziehen wollte und dem vielleicht gerade in der Stimmung der Erkrankung einige verhaltene Töne besonders gut gelangen. Regie: Leopold Lindt- berg. Gelöst aus den Schemen des Schuldramas, entfaltet sich hier dieses „einzige deutsche Lustspiel" als ein Drama der Deutschen. Lessing ist einer der saubersten und männlichsten Köpfe des deutschen 18. Jahrhunderts, ein Mann, der um seine Verantwortung für die Nation wußte. Dieser Aufklärer ist mehr wert als einige Dutzend romantische genialische Windhunde, die nach ihm so meisterhaft auf dem deutschen Seelenklavier zu spielen wußten und nicht ungeschickt Gott, Natur, Ich und Nation zu fixieren verstanden in ihren magisch-technischen Alleinheitsformeln. Wie ergreifend dagegen Lessings Redlichkeit und Nüchternheit: „M inna von Barnhelm oder: Die Humanität der Deutsche n", so könnte diese „Komödie" heute heißen, die ja nichts anderes darstellt als jenes große Thema, das Goethe so sehr beschäftigte: die Zivilisierung des Mannes durch die Frau, die Befreiung eines immer engen, in sich verklom- rnenen Mannestums zur Offenheit, zur Reife der Begegnung mit dem Du, dem Nächsten, den Dingen. Die Aufschließung des Deutschen zur Kommunikation, zur Weltoffenheit, wird hier exemplifiziert an diesem Erziehungswerk des sächsischen Fräuleins an dem preußischen Major. — Hier fällt kein Wort von „Demokratie", von „Reedukation", von „Fraternisierung", vorn Recht und Unrecht aller „Besatzungsmächte" — und dennoch sind alle diese großen Fragen unserer Gegenwart präsent in diesem Spiel. Die Ehre Preußens, die heute in Hans-Joachim Schoeps einen so beredten Verteidiger gefunden hat, nachdem sie, in ihrer eigentümlichen Größe und Enge in den Jahren der Wirrnis Jochen Klepper in seinem „Vater" uns vorgestellt hatte, hier wird sie vertreten durch Major von Tellheim — und ins Menschliche befreit und erlöst durch diese kleine herzenskluge Frau. Unübersehbar sind die Schatten der kommenden Zusammenbrüche bereits in diesem Stück: wie beklemmend hängt, auf Leib und Leben, in seiner Substanz verfallen, dieses aufrechte Mannsstück, der Tellheim, an dem Papier seines Königs — seine „Rehabilitierung" macht ihn erst wieder zum ganzen Menschen. Was wird geschehen, wenn die Nachfahren dieses Mannes zu Anhängseln ihrer Eide und ihrer angeheirateten oder vom höchsten Kriegsherrn geschenkten Gelder und Güter werden… ? Es ist, als hätte Lessing dies vorgeahnt — so viel Wert legt er deshalb auf die Erziehung des Majors von Tellheim zu einer freien Menschlichkeit. Erst nachdem die Frau diesen Mann aus seiner Männischheit entbunden hat, ist er fähig, auch in Kommunikation mit seinen Untergebenen zu treten. — Vieles ließe sich noch erläutern an diesem Stück vom ewigen Fall des Mannes, von der Bedrohung, derer der Mann nicht Herr werden kann, wenn er sich selbst ausgeliefert bleibt (in Männerbünden und anderen Positionen) — daß dies und anderes hier spürbar werden kann, ist das Verdienst dieser strahlkräftigen Aufführung.

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