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Ein Zeitstück und ein Volksstück

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Das Europäische Tournee-Theater, Zug-Basel-München-Wien, macht soeben im Wiener R a i m u n d - Theater Station. „Bacchus“, eine „Tragikomödie“ von Jean Cocteau, ist, nach den Wortefi seines Autors, „ein Stück über die Güte, über die harte Güte, die für mich am weitesten entfernt ist von jener anderen, der weichen Güte“. „Worum es hier. .. geht, ist, Gott endlich wieder mit der Intelligenz zu begaben, für die man den Teufel haftbar macht und zumal im 16. Jahrhundert, in welchem der Teufel die erste Geige spielt." Cocteau ist denn auch tatsächlich von den lobenswertesten Absichten in diesem seinem Stück beseelt: alle Personen, die da etwas zählen als Mit- und Gegenspieler, sind gut: der römische Kardinal und der deutsche junge Ketzer, der Herzog und seine Tochter Christine. Im Ragout der Reden wird so ziemlich alles angedeutet, was damals und zum guten Grund heute noch eine Welt bewegt: römische, europäische Autorität, politische Weisheit und Disziplin: das Ringen um die Freiheit des Christenmenschen; der Versuch einer Jugend, sich zu einer Stellung jenseits der Angst und der massiven Interessen der Parteien durchzuringen. Was der junge „Bacchus“, ein für acht Tage zum „König“ des Winzerfestes gewählter. Jüngling, da heraussprudelt, haben Große mit strahlenden Worten angesagt: Nikolaus von Cues, Paracelsus, Sebastian Franck. Cocteau aber will noch mehr, er will, wie er bekennt, Gott als Spielherren und Spieler in allen Gegenspielern zeigen. Ein gewagtes Unternehmen — große Mystiker bemühen sich darum, gemäß ihrer Ueberzeugung „niemand gegen Gott außer Gott selbst“, den Widerstreit der Gegensätze und Kräfte in die Gottheit selbst zu verlegen und als Ausfluß ihrer „harten Güte“ aufzuzeigen. Ein gewagtes Unternehmen für einen modernen Dichter, der dergestalt die Menschen im guten Sinne des Wortes „enthemmen“ möchte, herausführen aus engem, geängstigtem Denken und Leben. Die Bonmots Cocteaus, einzelne Sektperlen, „Spitzen“ im Wortspiel seiner Figuren, sind zu dünn, sein eigenes Anliegen aufzubereiten. Sie sind bestenfalls Rasierklingen, die die schweren und dichten Fragen, die da angetönt werden, ankratzen. Vielleicht in diesem und jenem Besucher „aufkratzen“; dank des Zusammenspiels zwischen dem Kardinal Werner Krauß und dem Bacchus Oskar Werner. Die etwas schattenhafte Besetzung der Nebenrollen Gertrud Kückelmann als Christine, GustaV Elger als Herzog und fünf andere Spielgenossen zeigt, wohl ungewollt, an, wie „dünn“ das Gewebe ist, das da gewoben wird. Schade.

Dem V o 1 k s t h e a t e r ist ein köstlicher Wurf gelungen: die österreichische Erstaufführung eines Volksstückes. Man erschrickt heute meist, zuckt zusammen, wenn man dies in einer Ankündigung liest: ein „Volksstück". Was, unglaublich, heute Hier aber ist es: „Gottes liebe Kinder" von Marcel Pagnol. — Mit einem wirklichen Volksstück verhält es sich irgendwie so, wie mit einem Volkslied: man kann es nicht „berichten“. Das Lied ist zum Singen da, und das Stück ist zum Spielen da, zum Zuschauen, Lachen, Sichfreuen und dabei ein klein wenig, zwischen Lachen und Weinen, nachdenklich werden. Ein Routinier der Bühne, Pagnol, weitbekannt durch seine Marseille- und Mittelmeerstücke, hat uns da ein „sündiges Dorf“ hingezaubert, das das Publikum verzaubert. Wer sich in diesem grippigen, grauen Herbst innerlich so recht anwärmen will, ist herzlich eingeladen, dies hier zu tun. Lotte Ledl als Quellenmädchen Manon, Edd Stavjanik als Volksschullehrer und das ganze Dorf,, das ganze Ensemble des Volkstheaters spielen da zum Tanz auf. Reicher Beifall des angenehm überraschten Publikums. Heinrich Trimbur führt Regie.

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