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Erregende Gegenwartsoper

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Keine schwungvolle Ouvertüre mit heldischen Fanfaren und überschwenglicher Liebes-kantilene. Wenn der Vorhang sich öffnet, hört man — nach einem kurzen szenischen Vorspiel auf rasch sich drehender Bühne mit peitschenden Schüssen, die einem Fliehenden gelten — von einer abgespielten Schallplatte eine Stimme den sentimentalen Schlager 6ingen: „Tu reviendras et voudras m'enfermer dans tes bras“. Kein Prunk von weiten Hallen und Gemächern, auch nicht die Romantik des Bohemestübdiens, wo das „lustige Künstlervölkchen* haust. Wir befinden uns in einer kleinen ärmlichen Wohnung inmitten einer großen Stadt, „irgendwo in Europa“, Zeit: Gegenwart. John Sorel, Mitglied einer Untergrundbewegung in einem von der Staatspolizei beherrschten Land, muß Mutter, Frau und Kind verlassen und über die Grenze. Seine Flucht bringt die Zurückgebliebenen in Gefahr, die nun gleichfalls, so schnell wie möglich, Ins Ausland fliehen müssen. Das einzige Tor zur Freiheit ist das Konsulat einer fremden Macht. Diese hilft manchmal, sie kann jedenfalls helfen, aber ihre Hilfe kommt oft zu spät. Denn an der Schwelle zum Land der Freiheit ßteht, in Vertretung des Konsuls, der persönlich nie auftritt — nur einmal wird sein Schatten hinter einer Glastür sichtbar —, die „Sekretärin*. Sie verkörpert die andere böse Macht, die Bürokratie, an deren dünner Papierwand Menschenschicksale zerbrechen. Mit ihr kämpft die erbarmungswürdige „Heldin“ des Stückes, Magda Sorel. Nicht für sich allein, sondern auch für ihren Mann und dessen Gefährten, und weil sie sich

nicht als Ge'sel mißbrauchen lassen will; vor allem aber darf John Sorel nicht ihretwegen zur Rückkehr bewogen werden. Mit vielen anderen wartet sie, wartet vergeblich auf das Visum. Einmal ist es fast soweit, daß sie den allmächtigen Konsul sprechen kann, sie sieht schon seinen Schatten! Da tritt ihr, aus dem Zimmer des Konsuls kommend und von diesem jovial verabschiedet, ihr Verfolger entgegen, der Agent der Geheimpolizei... So verwirrend laufen die Fäden der Mächte, in denen sich das Opfer verstrickt. Nun gibt es, da Kind und Mutter inzwischen gestorben sind, nur noch ein Mittel, den Mann von der verderblichen Rückkehr zurückzuhalten: das Opfer des eigenen Lebens. Im gleichen Vorzimmer des Konsulats wird wenige Minuten, nachdem Magda Sorel weggegangen ist, John verhaftet, der nach seiner Frau sucht. Der Hintergrund der Bühne öffnet sich, ein langer Zug von Bewaffneten begleitet den Widerstandskämpfer. Das Tor zur Freiheit fällt donnernd zu. — Auf Magda Sorel und ihr Schicksal — dies ist der Schluß des letzten Bildes — senkt sich ein Meer von weißen Friedhofskreuzen.

Es bedürfte kaum der Versicherung des Komponisten, der 6ein eigener Textautor ist, daß weder politische noch tendenziöse Absichten seinem Werke zugrunde liegen, sondern ein ethischer Inhalt. Der ist: Würde und Freiheit der Person, Treue und Opfer. Terror, Bürokratie und Trägheit des Herzens werden als die ärgsten Feinde des Menschen von heute dargestellt und verurteilt. „Wir sind soweit, daß Menschlichkeit des Menschen

Last, daß kein Schiff, kein Hafen mehr Ertrunkene birgt, kein Helm, kein Grab der Sterbenden mehr harrt.' — „O bittrer Drang, der Drang nach Freiheit, der jeden Atemzug uns raubt' und Wann wird die Angst endlich schwinden, die Angst vor dem Ticken der Uhr, die Angst vor dem Schritt an der Türl“ .Das Haus ist für den Verfolgten eine Falle geworden, Frau und Kind sind die Köder, im Versteck lauern die Jäger auf das kranke Wild.“ Das ist die Situation der einen Seite. Auf dar andern stehen die Verfolger, dazwischen die, die helfen könnten, jedoch: .Ihr Fall ist nicht der einzige. Wir werden helfen, eher wir brauchen Zeitl“ — .Es liegt nicht an uns, wenn Sie nicht die nötigen Papiere beisammen habenl“ — .Jedes Papier braucht seine Unterschrift. Trocken wird die See und kalt die Sonne, gilt nur die Unterschrift auf dem Papier, und alle Fragebogen warten auf Antwort Liebe stirbt und Wahrheit verwest, doch alle Fragebogen warten auf Antwort.“ — .Mein Kind ist tot, Johns Mutter wird sterben, mein Leben ist in Gefahr. loh flehe um Hilfe, und ihr gebt mir Fonnularel“ — .Der Name ist eine Nummer, ihre Geschichte ist nur ein Fall, die Bitte ist ein Gesuch, es wird tiberprüft.“ Einmal bäumt sich das Opfer auf und gibt auf die immer wiederkehrenden Fragen: Name, Alter? eine menschliche Antwort, die selbst das Herz der harten Sekretärin für einen Augenblick erweicht: .Mein Name: Frau, Alter: noch, jung, Farbe der Haare: grau, Farbe der Augen: Farbe der Tränen, Beruf: Warten.“ —

Was Menotti mit solchen Sätzen formuliert, ist so sehr Erlebnis und Anliegen vieler Menschen in dieser Zeit, daß es nach der Anklage der Heldin zu stürmischen Beifallskundgebungen kam, die dem Schöpfer dieser erregenden Gegenwartsoper ebenso galten wie der mitreißenden darstellerischen und gesanglichen Leistung Hilde Zadeks. Diese Wirkung ist für das Werk Menottis überaus charakteristisch. Ethos, Dramatik, theatralischer Effekt und Musik bilden eine Einheit und steigern sich gegenseitig. Menotti gibt der Oper, was der Oper ist. Er schreibt glänzende Gesangspartien, einen aparten Orchestersatz, und spricht eine allgemeinverständliche musikalische Sprache, die die große Italienische Tradition Verdis und derVeristen organisch weiterführt, indem sie die Errungenschaften der zeitgenössischen europäischen Musik von Mussorgsky über die neueren Franzosen bis Strawinsky, Kurt Weill und Honegger miteinbezieht.

Die Wiedergabe des Werkes im Theater aa der Wien kann trotz der Anwesenheit des Komponisten, der auch den letzten Proben beigewohnt hatte, nicht in allen Details als authentisch gelten. Die Inszenierung Adolf Rotts unterschied 6ich durch einige fragwürdige Zugaben von der in anderen Städten, die wir aus Beschreibungen kennen und über die an dieser Stelle berichtet wurde („Der Konsul“ wurde bisher auf etwa zehn europäischen Bühnen gespielt!): der Stacheldraht, der sich um die annselige Behausung Sorels ebenso zieht wie um das Konsulati das im Halbdunkel auftauchende namenlose Heer der Wartenden, der große Totentanz am Schluß, der an die große Tradition des abendländischen Mysterienspiels anknüpft; die sich über die letzte Szene senkenden Grabkreuze. Die musikalische Leitung lag in den Händen Meinhard Zallingers, die Bühnenbilder und Kostüme schuf Robert Kautsky. Eine großartige Leistung als Sängerin und Schauspielerin bot Hilde Za dek als Magda Sorel. Jeder der Mtwirkenden verdiente genannt und eigens gewürdigt zu werden. In Vertretung für das ganze Ensemble seien Hans Braun, Else Schürhoff, Marta Rohs, Judith Hellwig und Laszlo Szemere genannt.

Nach , dreijährigem Zögern hat sich die Staatsoper zu einem Werk der Gegenwart entschlossen und gezeigt, was sie kann, wenn sie will. Der Premierenerfolg übertraf die optimistischesten Erwartungen. Nun liegt es am Wiener Opernpublikum, zu zeigen, daß es auf diesem Weg, der mit Menottis „Konsul“ angetreten wurde, zu folgen bereit ist.

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