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Eine zweite Emigration?

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Dies ist keine Laudatio, kein Geburtstagsartikel und, vorläufig, auch kein Nekrolog, sondern lediglich eine Mitteilung nebst Kommentar. Wer kennt ihn nicht, den Dr. Marcel Prawy — durch seine vorbildlichen, schwungvollen und perfekten Produktionen in der Wiener Volksoper, durch seine öffentlichen Einführungsvorträge vor Premieren und als Fernsehpräsentator einzelner Komponisten oder Werke? Diese Tätigkeit wird er auch weiterhin ausüben. So bereitet er zum Beispiel neue Sendungen für seinen „Opernführer“ vor, den es seit 10 Jahren gibt und der zu einer der beliebtesten Sendungen der Melomanen gehört (auf das Leben Puccinis, anläßlich seines 50. Todestages sowie auf die von Prawy gestaltete Geschichte der MET kann man ganz besonders neugierig sein).

Und zwischendurch war Doktor Marcel Prawy während der Monate Februar, März und April als Gastprofessor an der Yale-Universität in New Häven tätig. Sie ist eine der ältesten Amerikas und ist aus einem bereits 1701 von einem Philanthropen gestifteten College hervorgegangen, nach dem sie auch benannt wurde. Seit 1887 wurde Yale Universität, und zwar eine der angesehensten. Hier hat Paul Hin-demith während seiner Emigration gelehrt, und Dr. Prawy hatte als Kollegen Rossellini (für Film) und Penderecki (für Komposition). Dazu kann man nur gratulieren, zumal weitere Termine in den USA bereits abgesprochen sind.

Aber man tut es nicht ohne eine gewisse Besorgnis. In bezug nämlich auf Dr. Prawys weitere Tätigkeit in Wien und für das Wiener Musikleben. Denn der Titel „Chefdramaturg der Staatsoper-Volksoper, Produktionsleiter der Wiener Staatsoper“ steht nur noch auf dem Papier. Seit geraumer Zeit scheint man dort für Dr. Prawy keine geeignete Arbeit zu finden. Dabei fehlt es offensichtlich gerade an solchen Kräften. Was da nur wieder dahinterstecken mag? Dies zu ergründen ist nicht Aufgabe des Kulturkritikers. Wovor er warnen muß, ist die vorzeitige Inaktivierung einer hervorragenden Kraft, eines Kenners und Enthusiasten der Oper, wie es nur wenige gibt. Oder glaubt man, keine Berater zu brauchen? Hat man jemanden, der nach jungen Sängern fahndet? Gibt es einen zweiten, der das Opernrepertoire so gut kennt wieer? Warum, z. B., ist der angekündigte „Prophet“ von Meyerbeer ins Wasser gefallen? Gewiß ist Dr. Prawy besser eingesetzt, wenn man ihm ganze Produktionen anvertraut. Aber bei vielen- kann er auch helfen, beraten, anregen. Vorausgesetzt, daß man das überhaupt will. Mit Ende der nächsten Spielzeit läuft sein Vertrag ab. Wird man rechtzeitig daran denken, ihn zu erneuern? Denn: Dr. Prawy ziehen zu lassen, in eine zweite Emigration — gewissermaßen, das wird wohl niemand auf sich nehmen wollen. Denn es wäre unverantwortlich!

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