6891560-1979_47_21.jpg
Digital In Arbeit

Fanatismus und Selbstkritik

Werbung
Werbung
Werbung

„Der Vergangenheit kann man nicht entrinnen. Und darum ist es nötig, sich zu erinnern, was mit uns, mit unserem Land, mit der Welt geschehen ist. Nichts verbergen, nichts unterschlagen“, schreibt der russische Germanist Lew Kopelew im Epilog zu seinem unlängst erschienenen zweiten autobiographischen Werk „Und schuf mir einen Götzen“.

Kopelew ist 1917, im Jahre der Russischen Revolution, fünf Jahre alt und lebt in der Ukraine. Rote, Weiße, Deutsche, Polen besetzen in kurzen Abständen das Land, Unsicherheit bestimmt den Alltag, kaum etwas, woran sich ein Kind festklammem könnte.

Die Aufbruchstimmung der zwanziger Jahre reißt dann breite Bevölkerungsschichten mit, die Jugend ist mit Feuereifer bei der Errichtung der neuen kommunistischen Gesellschaft dabei - auch Kopelew. Anfang der dreißiger Jahre hilft er bei der Kollektivierung mit, die die Ukraine in eine furchtbare Hungersnot stürzt, und unterstützt propagandistisch die Kornbeschlagnahmungen, während die solchermaßen ausgepreßten Bauern massenhaft dahinsterben.

Den jungen Kopelew beginnen die Zweifel zu packen. Als Stalin in der Folge den Massenterror eröffnet und auch Freunde des Autors Opfer der Säuberungen werden, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen, was für ein Tyrann da an der Spitze herumwütet.

Durch die genaue Schilderung werden diese „Lehrjahre eines Kommunisten“ zu einem Lehrbuch über die junge Sowjetunion überhaupt. Denn wie in kaum einem anderen Buch über die Entstehung des Sowjetstaates, wird hier der psychologische Hintergrund erkennbar, vor dem die kommunistischen Götzen ihre Menschenopfer darbrachten, damit sie selber an der Macht bleiben konnten.

UND SCHUF MIR EINEN GÖTZEN. Lehrjahre eines Kommunisten. Von Lew Kopelew. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1979, . 424 Seiten, öS 249,60.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung