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Heimkehrer
Allmählich kehren sie heim: Andrej Sacharow war der erste sowjetische Dissident, der aus der Verbannung heimgerufen wurde. Gorbatschow persönlich hatte ihn in seinem Verbannungsort per Telefon aufge- fordert, nach Moskau zu kommen und seine „patriotische Pflicht“ zu erfüllen. Sacharow hatte damals geantwortet, die patriotische Pflicht erfülle man am besten, wenn man sich für die Entrechteten einsetze.
Das könnte auch Lew Ko- pelew gesagt haben. Der in Köln lebende Literat und Germanist war 1981 ausgebürgert worden, weil er Solschenizyn und Sacharow verteidigt hatte. Just zu seinem 77. Geburtstag, den er dieser Tage feierte, erhielt Kopelew nun die Erlaubnis der Einreise in seine Heimat.
Kopelew hat in seinen drei Memoirenbänden und in Vorträgen immer wieder Schuldbekenntnisse abgelegt: Weil er als überzeugter Jungkommunist den Verbrechen zugestimmt hatte, die Stalin an den Völkern der Sowjetunion beging; weil er trotz innerer Zweifel den Hitler-Stalin-Pakt gebilligt, weil er zur Teilung Polens geschwiegen und die Eroberung der baltischen Länder gebilligt hatte.
Er bekannte sich schuldig, weil er 1945 als Major beim Einmarsch der Roten Armee in Polen und Ostpreußen nicht energisch genug gegen Gewalttäter vorgegangen war. Das, was er zu tun versucht hatte, genügte allerdings, ihn neun Jahre in ein stalinistisches Lager zu bringen.
Lew Kopelew bekam viel Zustimmung auch von ehemaligen Nationalsozialisten und Wehrmachtsangehörigen. Er wunderte sich nur immer, warum die Schreiber solcher Briefe selbst nie einen Hauch von Schuldgefühl zu haben schienen.
So profitieren wir geistig von Humanisten wie Kopelew, und es ist eine Frage, ob wir sie nicht ebenso notwendig brauchen wie die Russen. Andrej Sinjawskij, der schon vor 17 Jahren die Sowjetunion verlassen mußte und in Paris lebt, bemerkte dieser Tage, er werde in letzter Zeit immer gefragt, ob er nicht heimkehren werde. Und solange solche Fragen gestellt würden, stimme mit der Perestrojka etwas nicht. Denn niemand kümmere sich darum, ob zum Beispiel der in Frankreich lebende Graham Greene nach England zurückkehre. Wo der Körper eines Schreibers weile, sei gleichgültig. Hauptsache, seine Bücher gehörten Rußland.
Diese Bücher gehören aber auch uns. Im Sinne einer von Goethes Maximen, die Kopelew seinem Buch „m Willen zur Wahrheit“ vorangestellt hat: „Die Wahrheit gehört dem Menschen. Der Irrtum der Zeit.“
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