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Die Zukunft gehört der Solidarität

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Den Armen helfen, ist kein Problem. Ihnen aber das Wort zu erteilen, das wird gefährlich.” Der seines Amtes enthobene Bischof von Evreux, Jacques Gaillot, hielt vergangene Woche einen Vortrag im vollbesetzten Auditorium Maximum der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg.

Gaillot ist überzeugt davon, daß das Engagement einiger Bischöfe und Priester nicht ausreiche: „Die Kirche insgesamt muß von den Armen ausgehen! Wenn man zu den Armen geht, wird sich auch innerhalb der Kirche viel ändern.” Genau das sei einer der Gründe für seine Absetzung gewesen: Daß nämlich in Evreux Männer „von unten” zu Diakonen und Priestern geweiht worden seien: „In der Gesellschaft wie in der Kirche ist es problematisch, Außenseitern Verantwortung zu geben”, meinte Gaillot.

„Jesus hatte eine Leidenschaft für verlorene Menschen. Dieses Zugehen auf Menschen in Bandgruppen ist das, was ich mir von der Kirche erwarte”, sagte Bischof Gaillot, jetzt Titularbi-schof einer Diözese in der algerischen Wüste. „Solidarität mit Bandexistenzen vermittelte ein gutes Bild von der Kirche und würde ihr die Kraft wiedergeben. Wenn man von Armen spricht, schließtman keinen aus.” Gefragt, ob denn die Kirche den Blick für Menschen in Not verloren habe, antwortet Gaillot zögernd: „Ich weiß nicht ... das wäre eine Katastrophe, das dürfte nicht passieren.”

Gaillot lebt nach wie vor in Paris zusammen mit 140 Obdachlosen un- • ter einem gemeinsamen Dach. Das Haus habe man - natürlich gewaltfrei - besetzt: „Ich erfahre dabei, daß es einen großen Unterschied macht, ob man mit diesen Menschen lebt oder ob man nur zu ihnen hingeht.”

„Der Solidarität gehört die Zukunft”, meinte Gaillot. Es gehe nach Einschätzung des Bischofs nicht darum, „daß man den armen Menschen einfach hilft”. Die Armen müßten „wieder Verantwortung erlangen, wieder aufrecht stehen können”. Allein in Frankreich lebten, so Gaillot, fünf Millionen Menschen unter der Armutsgrenze, in ganz Europa seien es 52 Millionen. Das sei eine Herausforderung für die Christen, denn „wenn diese Leute die Verlierer sind, wird die Gesellschaft als Ganzes der Verlierer sein”.

Als Bischof von Evreux sei er „voller Eifer gewesen in der Überzeugung, die Christen seien die Kirche”. Ein Leitspruch: „An dem Tag, an dem ihr den Mund aufmacht, kann ich den meinen zumachen.” Was ihn getroffen habe, sei „das Unrecht, das dem Volk von Evreux angetan worden ist”. Niemand habe die Leute dort „wie erwachsene Christen” behandelt und sie nach ihrer Meinung gefragt. Durch die Solidarität, die Gaillot heute von seiten vieler Gläubiger entgegenströme, sei ihm, „als ob das Wort plötzlich frei geworden wäre. Und wo das Volk Gottes das Wort ergreift, ist man nie enttäuscht.”

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