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Schwieriges Menschenrecht

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Ein nicht ganz fiktiver Dialog in Sarajewo: „Ich würde gern in diese Wohnung zurückkehren, ich habe hier vor dem Krieg gewohnt..." sagt der Rückkehrer. „Aber ich blieb hier im Krieg, ich werde diese Wohnung nicht verlassen - du bist ins Ausland gegangen, Du bist vor dem Krieg geflohen ...", sagt der andere. „Es ist meine Wohnung", wiederholt der Rückkehrer. „Nein", sagt der andere, „Du hast kein Recht auf eine Wohnung hier. Wenn ich nicht für unser Land und für unsere Sache im Krieg gekämpft hätte, gäbe es diese Wohnung nicht mehr, Bosnien-Herzegowina nicht mehr, könntest Du gar nicht hier sein ..." Noch lange argumentiert der Rückkehrer im Treppenhaus vor der offenen Tür zu seiner Wohnung. Er sei doch vor dem Krieg weggegangen, weil er den Krieg voraussah und ihn nichtaufhalten konnte, aber in keinen Krieg, in kein Töten, keine Gewalt - nicht gegen Nachbarn, nicht gegen Feinde, nicht gegen Söhne von Freunden, nicht gegen Schulkameraden - hineingezogen werden wollte. Weil er diesen Krieg in all seiner Furchtbarkeit vorausgesehen hatte, mußte er weggehen. Sei das ein Unrecht, sei das nicht ein Menschenrecht?

Schließlich sagte der andere in der offenen Tür zu der Wohnung, die ihm als Unversehrten aus dem Krieg zugeteilt worden war: „Wenn ich vorher gewußt hätte, was mir in diesem Krieg bevorstand, wäre ich vielleicht - wenn ; ich die Möglichkeit gehabt hätte -auch ins Ausland geflohen ... aber ich hatte sie nicht und ich wußte es nicht. Ich habe für dieses, für unser Vaterland das Schrecklichste, das Menschen Menschen antun können, erlebt - habe ich etwa nicht das Recht auf eine Wohnung, in der ich zurückfinden kann zu einem normalen zivilen Leben, mit meiner Familie, die der Krieg in alle Winde verstreut hat, die nirgends mehr ein Zuhause hat? Ist das nicht mein Recht als Mensch, der die Hölle überlebt hat um Frieden zu finden?"

Danach wurde der Rückkehrer in die Heimat ein Rückkehrer in die Flucht. In anderen, gar nicht fiktiven Fällen werden ehemalige Wohnungsbesitzer gleich mit Schimpf, Schande und Gewalt aus dem Treppenhaus gejagt. In wieder anderen Fällen kommt es zu friedlichem, rechtlich abgesichertem Tausch, hie Moslem mit Haus und Garten in Banja Luka, dort Serbe mit Dreizimmerwohnung in Grbavica/Sarajewo.

Von den Ehen, die während des Krieges in Sarajewo geschlossen wurden, waren 34 Prozent „gemischt". Über die Scheidungen, die auf Grund der „Mischung" vollzogen wurden, weiß ich keine Zahl. Sicher aber ist, daß die Kinder der Ehen oder der Scheidungen sich heute die Frage stellen müssen: „Wer, was bin ich und wo gehöre ich hin?"

Wissen „wir", die wir heute den Frieden in Bosnien-Herzegowina gestalten wollen, auf diese Fragen Antworten?

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