Über den Krieg reden

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Wie sollen wir über den Krieg in Israel reden? Reflexionen über Andersdenken, Zensur und Demokratie.

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Wie sollen wir über den Krieg in Israel reden? Reflexionen über Andersdenken, Zensur und Demokratie.

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Als ich über den verheerenden Überfall der Hamas auf Israel am 07/10 erfuhr, war mir klar: Das ist eine Katastrophe. Der Welt werden dunkle Tage bevorstehen. Ich schrieb sofort an einen Kollegen in Israel, ob es ihm und seiner Familie gut geht. Dieser Kollege ist ein Menschenrechtsaktivist. Er ist jüdischer Israeli, hat sich aber stets solidarisch mit dem Leid und mit der Causa der Palästinenser positioniert. Wie schätzt er die Antwort Israels auf Gaza ein? Ich traue mich nicht, ihn zu fragen. Ein paar Tage später begegne ich meiner lieben Nachbarin im Stiegenhaus – eine christliche Palästinenserin, deren Familie seit über 40 Jahren in Österreich lebt. Auch ihr gegenüber schweige ich.

Dasselbe Dilemma spielt sich auch in der Öffentlichkeit ab. In einem hoch polarisierten Kontext traut sich kaum ein Kommentator, differenziert über diesen Krieg zu reden. Das hat auch seinen Grund. Denn kaum ist der Konflikt entflammt, schon steigt auf schockierende Weise die Zahl der antisemitischen Vorfälle. Es werden Davidsterne an Türen geschmiert, Israelfahnen von Tempeln gerissen. Gleichzeitig werden pro-palästinensische Demos untersagt und seriöse Journalisten wie Karim El-Gawhary der Voreingenommenheit beschuldigt bzw. beschimpft.

Ist die Kritik an Menschen, die sich „pro-palästinensisch“ äußern, Zensur – oder wäre das Nichtdagegenhalten das eigentliche Demokratieversagen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht leicht, dennoch müssen wir uns der Herausforderung stellen. Wir müssen die Linie zwischen Hassrede und politischem Andersdenken stark ziehen: Auch in Zeiten des Krieges muss es möglich sein, verschiedene Meinungen zu vertreten. Viele haben Angst, dass der Nahostkonflikt nach Österreich importiert werden könnte. Aber wenn wir jegliche Divergenz über den Konflikt verbieten, dann stecken wir bereits mittendrin.

Die Autorin ist Professorin für Migration und Integration an der Donau Universität Krems.

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