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Land der Gipfel

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Das waren noch Zeiten, als unsereiner noch mit heller Knabenstimme jugendbewegt gesungen hat, wohin einer zu streben hat, wenn er „aus grauer Stätte Mauern” und sonstigen Niederungen des Alltags heraus will: nämlich „aufwärts zu den klaren — Gipfeln der Einsamkeit”.

Damals hatte ich natürlich noch keine Ahnung, daß es mich — welch Gipfel einer Karriere! — einmal beruflich ins Nachbarland Osterreich verschlagen würde. In die mit Recht so genannte Alpenrepublik, die wir Bayern immer schon darum beneidet haben, daß sie viel mehr und viel höhere Gipfel von den Alpen erwischt hat als wir. Darum wirkt selbst das Absingen der österreichischen Nationalhymne als Fremdenverkehrswerbung und lockt zahllose Bergsteiger ins .Land der Berge”.

Inzwischen stellt sich allerdings die Frage, ob man die Nationalhymne einfach so weitersingen kann oder ob sie nicht einer leichten Textkorrektur bedürfte. Österreich müßte doch 40 Jahre nach Kriegsende und 30 Jahre nach Abschluß des Staatsvertrags unbedingt befördert werden: vom Land der Berge zum Land der Gipfel.

Zugegeben, früher wurde nur von einer Gipfel-Konferenz gesprochen, wenn sich quasi die politischen Achttausender auf ihrer Höhe unterhalten haben — die Präsidenten der Supermächte. Beispielsweise, wenn

Chruschtschow und Kennedy oder Breschnew und Carter sich in Wien getroffen haben, nannte man das einen „Gipfel”.

Aber auf solche seltenen Gelegenheiten wollten sich Österreichs Medien nicht mehr beschränken: die Zeitungen propagierten eine solche Gipfelinvasion, daß sich heute eigentlich kaum mehr zwei Österreicher, die mehr sind als Obersekretär, miteinander unterhalten können, ohne daß es ein Gipfelgespräch wäre. Umso mehr müssen österreichische Politiker wahre Gipfelstürmer sein.

Sparbuch-Gipfel, Verstaatlichten-Gipfel, Ladenschluß-Gipfel, Hainburg-Gipfel, A bfangjäger-Gipfel sind nur die Krönung des Gipfelwesens. Von Judenburg über Ferlach bis ins letzte Dorf, das ein Problem mit der Bahnhofs-Stillegung hat, jagt in diesem Land ein Gipferl das andere.

Dabei haben wir arrogante Nachbarn immer gedacht, in Osterreich würde nur eine .JKipferl-Politik” gemacht! Kein Wunder, daß jetzt wieder der blanke Neid ausbricht, wenn Österreich heute nicht nur mehr Berge, sondern auch mehr Gipfel hat als wir. Aber nächste Woche, wenn der Außenminister-Gipfel vorbei ist, heißt es vielleicht wieder für eine Weile: Uber allen Gipfeln ist Ruh!

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