Österreichs Himalaya-Wunderteam

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Beim Everest hatten die Briten vor 60 Jahren die Nase vorn. Den weiteren Verlauf der 8000er-Besteigungen haben jedoch österreichische Bergsteiger mehr als alle anderen geprägt.

Versprochen, gehalten! Der erste Vorsitzende der Österreichischen Himalaya-Stiftung, Primarius Rudolf Jonas, Bruder des Bundespräsidenten Franz Jonas, hatte im Februar 1953 in der Österreichischen Touristenzeitung im Namen seines Vereins angekündigt, "alles daranzusetzen, um in dem wissenschaftlichen und sportlichen Wettstreit der Nationen zur Erforschung und Erschließung des Himalaya ehrenvoll zu bestehen“. Kein halbes Jahr später, am 3. Juli 1953, stand mit Hermann Buhl der erste Bergsteiger auf dem 8125 Meter hohen Nanga Parbat, der erste Österreicher auf einem bis dato unerstiegenen Achttausender.

Bis 1960 werden fünf der 14 Achttausender von neun Österreichern erstmals bestiegen werden, mehr als ein Drittel der Achttausender-Erstbesteigungenvon Österreichern gelingt. Außerdem: Zwei Österreicher, Hermann Buhl und Kurt Diemberger, sind die einzigen Bergsteiger, denen mit Gewissheit (der Sherpa Gyalzen Norbu ist umstritten) jeweils zwei Erstbesteigungen an Achttausendern gelungen sind. Sechs Erstbesteigungen wurden ohne Sauerstoffgeräte, also ohne Zuhilfenahme von künstlichem Sauerstoff bestiegen - alle fünf österreichischen Gipfelerfolge gehören dazu. Das heißt, sowohl in der Einzel- als auch in der Nationenwertung als auch in der erst Jahrzehnte später wichtigen Frage, ob mit oder ohne künstlichem Sauerstoff, sind in diesem Wettkampf die Österreicher als die großen Sieger hervorgegangen.

Wettstreit im Himalaya

Dass sich die österreichischen Himalaya-Bergsteiger damals sehr wohl im Wettstreit für Österreich gesehen haben, belegt ein Zitat aus dem Buch von Fritz Moravec über die Erstbesteigung des Gasherbrum II, in dem der Autor auf die geplante österreichische Expedition zum Dhaulagiri hinweist: "Und der Kampf um den nächsten Achttausender für Österreich wird seine stärksten Impulse empfangen aus dem Glauben an meine jungen Freunde.“ Besonders in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, aber auch danach, während des zweiten Bergsteiger-Ansturms auf die Achttausender in den 1950er-Jahren, war Himalaya-Bergsteigen ein Nationalsport. Dessen bewusst hat der französische Erstbesteiger Maurice Herzog am Gipfel der Annapurna auf seinem Pickel die Trikolore gehisst - und die anderen Erstbegeher haben es ihm auf den anderen Achttausendern nachgemacht. "Die Mission ist erfüllt“, war der erste Gedanke, der Herzog am Gipfel in den Sinn kam. Und nachdem er mit abgefrorenen Fingern und Zehen heimgekehrt war, erklärte er auf die Frage, ob es das wert war: "Es ging um ein Ideal, da war kein Opfer zu groß.“

Der bereits zitierte Rudolf Jonas sah in der Ersteigung der Achttausender gar eine Möglichkeit sich als "Kulturnation“ zu präsentieren: "Es ist zu erwarten, dass immer mehr Nationen ihren fähigsten Wissenschaftern und tüchtigsten Bergsteigern die Möglichkeit geben werden, den Namen ihres Landes ehrenvoll in die Erschließungsgeschichte des Himalaya einzutragen. (…) Himalaya-Expeditionen sind also nicht wie vielfach fälschlich angenommen wird, rein sportliche Unternehmungen, sondern in erster Linie eine wissenschaftliche, eine kulturelle Aufgabe; sich ihr zu unterziehen ist hohe Verpflichtung für jedes Volk, das Wert darauf legt, zu den Kulturvölkern der Erde gezählt zu werden.“

Es stimmt, dass die Achttausender-Expeditionen dieser Zeit von Geologen, Kartografen, Meteorologen etc. begleitet wurden; trotz dieses Appells von Primarius Jonas ist aber für die Öffentlichkeit vor Ort und zu Hause natürlich der sportliche Aspekt dieser Himalaya-Fahrten im Vordergrund gestanden. Nicht umsonst wurde Hermann Buhl 1953 zum "Sportler des Jahres“ gewählt - eine Auszeichnung, die vor und nach ihm nie wieder einem Bergsteiger in Österreich zuteil wurde - obwohl Peter Habeler 1978 nach der Erstbesteigung des Mount Everests ohne künstlichen Sauerstoff oder Gerlinde Kaltenbrunner 2012 nach der Besteigung ihres 14. Achttausenders würdige Kandidaten gewesen wären.

Die Nanga Parbat-Besteigung zeigt bereits einen wichtigen Erfolgsfaktor, der sich auch bei den weiteren Erstbesteigungen der Österreicher wiederholt: Ihre Regel ist, dass es keine immer gültigen Regeln gibt. Anders gesagt: Die Österreicher pflegen einen recht unorthodoxen Zugang zu den Achttausendern. Sie halten sich zwar an die Vorgaben, die sich in den Jahrzehnten zuvor im Expeditionsbergsteigen entwickelt haben. Sobald aber der Berg, das Wetter, die Verpflegungssituation, das Team oder andere Umstände eine Planänderung verlangen, zögern sie nicht, diese durchzuführen. Als zum Beispiel Buhl seinen Kameraden beim Gipfelgang zurückbleiben sieht, geht er allein weiter, obwohl das niemand vor ihm an einem derart hohen Berg gemacht hat und lange Zeit auch niemand nachmachen wird.

Austro-Methode: Kleinexpedition

Oder im Jahr darauf, 1954, als der Wiener Herbert Tichy mit zwei Österreichern und einer Handvoll Sherpas zum Cho Oyu aufbricht, während andere Nationen noch Hundertschaften zur Eroberung eines Achttausenders ausschicken. Am 19. Oktober stehen Tichy, Sepp Jöchler und der Sherpa Pasang Dawa Lama (siehe Artikel rechts) am Gipfel - ein Meilenstein in der Geschichte des Expeditionsbergsteigens.

Den nächsten setzen Fritz Moravec, Hans Willenpart und Josef Larch, als sie am 7. Juli 1956 zum ersten Mal in der 8000er-Besteigungsgeschichte von einem Biwaklager aus die Gipfel-etappe zum Gasherbrum II starten. Am Gipfel können sie sich hemdsärmelig sonnen, ein Wetterglück, das nur wenigen auf den höchsten Gipfeln der Welt beschienen ist. Neben dem Mut, wenn nötig auf eine vollständig ausgebaute Lagerkette zu verzichten, zeichnet diese Expedition ein weiteres österreichisches Erfolgsrezept aus: Während sich andere Nationen in "ihre“ Berge verbeißen und nur diese belagern, berennen, bezwingen wollen, sind die Österreicher flexibler und ziehen dorthin, wo von den Großexpeditionen links liegen gelassene und daher noch unerstiegene Gipfel warten.

Zum Beispiel der 8047 Meter hohe Broad Peak. Am Weg zum K2, zum schönsten und schwierigsten Achttausender gelegen, war das "Breithorn des Karakorums“ schon lange bekannt. Aber erst 1954 hat sich eine deutsch-österreichische Expedition ernsthaft daran versucht. 1957 waren die Österreicher Marcus Schmuck, Fritz Wintersteller, Kurt Diemberger und Hermann Buhl, trotz großer Differenzen im Team, schließlich erfolgreich. Buhl kehrt von dieser Expedition aber nicht zurück. Bei einer weiteren Tour auf die Chogolisa stürzt er über eine Wechte ab.

Die österreichische Dhaulagiri-Expedition 1959 muss wegen Sturm am Gipfelgrat abgebrochen werden. Dank ihrer Erkundungs- und Seilversicherungsarbeiten gelingt jedoch im Jahr darauf einer Schweizer Expedition der Gipfelsieg. Ganz vorne bei den Erstbesteigern dabei ist der Österreicher Kurt Diemberger. Sein zweiter Achttausender und der fünfte für Österreich.

Heute, im nachnationalen Zeitalter, hat es an Bedeutung verloren, Bergsteiger welcher Nation als erste auf den höchsten Gipfel der Welt waren. Was bleibt, ist aber, dass sich die österreichische Methode der Kleinexpeditionen an den 8000ern durchgesetzt hat. Insofern hat Primar Jonas recht behalten, als er vor 60 Jahren vehement für österreichische Expeditionen in den Himalaya eingetreten ist: "Man würde später nie verstehen, warum das Alpenland Österreich in diesem Wettstreit, in dem es eine hervorragende Rolle hätte spielen können, untätig geblieben ist.“

Von 1950 bis 1964: Internationaler Wettlauf auf die vierzehn höchsten Gipfel der Erde

Annapurna

8091 Meter

1950

Maurice Herzog und Louis Lachenal stehen als erste auf einem 8000er-Gipfel. Beim Abstieg kommt das Team im Sturm fast um. Herzog kehrt mit schweren Erfrierungen zurück.

Mount Everest

8848 Meter

1953

"Nun haben wir den Bastard umgelegt!“, sagte der Neuseeländer Edmund Hillary, nachdem er mit dem Sherpa Tenzing Norgay den höchsten Berg der Welt bestiegen hat.

Nanga Parbat

8125 Meter

1953

Hermann Buhl fotografiert nach einem Alleingang auf den "deutschen Schicksalsberg“ Pickel und Tiroler Wimpel im Abendrot - den deutschen Expeditionsleiter ärgert‘s.

K2

8611 Meter

1954

Achille Compagnoni und Lino Lacedelli erobern den K2 "zum großen Ruhm des Vaterlandes“ und nehmen dabei in Kauf, dass Walter Bonatti und ein Träger beinahe erfrieren.

Cho Oyu

8201 Meter

1954

Herbert Tichy revolutioniert das 8000er-Bergsteigen: Während sonst Hundertschaften ausrücken, gelingt ihm mit drei Freunden die trinkfreudigste Erstbesteigung.

Makalu

8485 Meter

1955

Die erste 8000er-Expedition bei der alle Teilnehmer den Gipfel erreichen. Lionel Terray und Jean Couzy waren die ersten und danach enttäuscht: Der Gipfel war zu leicht.

Kangchendzönga

8586 Meter

1955

Nun besteigen die Briten auch den dritthöchsten Berg. George Band und Joe Brown akzeptieren den Glauben in Sikkim und bleiben wenige Schritte unterm Gipfel.

Manaslu

8163 Meter

1956

Toshio Imanishi und Sherpa Gyaltsen (sein zweiter 8000er!) sind die Ersten am "Berg des Geistes“. Zwei Jahre vorher hatten Einheimische die Japaner noch vom Berg verjagt.

Lhotse

8516 Meter

1956

Nach der Erstbesteigung am Lhotse durch Fritz Luchsinger und Ernst Reiss schafften die Schweizer auch noch die Zweit- und Drittbesteigung des Everests.

Gasherbrum II

8034 Meter

1956

Die erste 8000er-Expedition der Österreichischen Himalaya-Gesellschaft: Fritz Moravec, Josef Larch und Hans Willenpart sonnen sich hemdsärmelig am Gipfel.

Broad Peak

8051 Meter

1957

Die zweite 8000er-Erstbesteigung für Hermann Buhl. Kurt Diemberger begleitet ihn auf den Gipfel, von dem Marcus Schmuck und Fritz Wintersteller bereits absteigen.

Hidden Peak

8080 Meter

1958

Hüfthoher Schnee bremste die Expedition. Pete Schoening und Andrew Kauffman steckten sich aber Sperrholzplatten statt Skiern an die Steigeisen und erreichten den Gipfel.

Dhaulagiri

8167 Meter

1960

Nach Vorarbeiten der Österreicher (Moravec & Co.) im Vorjahr war eine Schweizer Expedition mit Kurt Diemberger (seine zweite Erstbesteigung) am "weißen Berg“ erfolgreich.

Shisha Pangma

8013 Meter

1964

Sie trugen eine Mao-Büste hinauf und mussten sich am Gipfel wegen Platzmangels abwechseln. Zehn chinesische Bergsteiger komplettieren die Erstbesteigungs-Serie.

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