Das Dach der Welt trägt seinen Namen

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Start der neuen Furche-Serie "Hinter dem Begriff: ein Mensch": Der Mann, der Everest hieß.

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Start der neuen Furche-Serie "Hinter dem Begriff: ein Mensch": Der Mann, der Everest hieß.

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An der Königlichen Militärakademie glänzt der "gentleman cadet" George Everest mit der Note Vorzüglich in Mathematik und Physik. Sein Talent befähigt ihn für die Laufbahn des "gelehrten Offiziers", wie ihn die technischen Truppen brauchen. Anno 1806, gerade sechzehn Jahre alt, schifft er sich ein, um in die Dienste der East India Company zu treten. Der junge Mann aus Greenwich wird einer bengalischen Geschützbatterie zugeteilt. Nach Kasernenroutine bei den Kanonieren entsendet man ihn auf die Insel Java, dort erkundet er die Geländeverhältnisse, bevor diese Kolonie wieder den Niederländern übergeben wird.

Ähnliche Sondermissionen folgen, zum Beispiel die Anlage einer Lichttelegrafenlinie zwischen Calcutta und Benares. Da sich Everest stets bewährt, auch mit primitiver Ausrüstung und unter den schwierigsten Bedingungen, erwarten ihn bald noch wichtigere Aufgaben. Er ist der geeignete Mann für die Große Landvermessung Indiens, die seit 1799 durchgeführt wird, um für die Mappierung ein System von Kontrollpunkten zu schaffen.

Seine trigonometrische Arbeit beginnt er in den Dschungelgebieten östlich von Hyderabad. Eine Grüne Hölle, die ihn vorzeitig und schwerkrank zum Rückzug zwingt, fünfzehn Mann seiner Gruppe bleiben liegen. Auf den nächsten Expeditionen entwickelt und erprobt er einen Nachttheodoliten. 1823 wird er Chef des Amtes für die Große Landvermessung und trotz häufiger akuter Stadien seines Tropenleidens - bis zu Lähmungen - ist er immer wieder unterwegs in der Wildnis. Er gehört zu jenen Menschen, die sich nur auf die eigene Wahrnehmung verlassen, sein kategorischer Imperativ lautet: absolute Präzision. Assistenten braucht er vor allem, damit sie ihn in den Sitz heben und seinen Arm stützen, wenn er das Gerät einstellt.

Es gelingt ihm, mehrere Sektoren des Subkontinents trigonometrisch zu erfassen, dann muß er aussetzen. Während eines langen Heimaturlaubs informiert er sich über den aktuellsten technischen Stand auf dem Gebiet der Geodäsie, ist an der Gründung der Royal Geographical Society beteiligt und wird in das leitende Gremium der Astronomical Society berufen.

1830 kehrt er mit dem damals modernsten Instrumentarium seines Fachs nach Indien zurück. Allmählich nähern sich die Aufnahmen den Ausläufern und Vorbergen des Himalaya-Massivs und Everest verlegt seinen Ausgangspunkt von Kalkutta ins subtropische Dehra Dun. Jahr um Jahr arbeitet er zäh, ja verbissen weiter am "Großen Bogen". Nach einem Zusammenbruch ist er bereits aufgegeben, erholt sich aber.

Von Schülern geehrt 1843 schließlich betrachtet der Kompromißlose sein Werk - die Eroberung Indiens durch die Trigonometrie - als getan, sodaß er guten Gewissens in den Ruhestand treten kann. Als Privatmann in England befaßt er sich nach wie vor mit wissenschaftlichen Fragen. Die junge Königin Victoria erteilt dem alten Gelehrten den Ritterschlag. Am 1. Dezember 1866 stirbt Sir George Everest.

Weltberühmt macht diesen Namen die Dankbarkeit seiner Schüler und Nachfolger. Schon 1845 beginnen sie mit der Höhenmessung des Himalaya, behindert durch die mißtrauischen Nepalesen, die den britischen Experten die Einreise verweigern. Deshalb müssen die Beobachtungen auf eine Distanz von rund 170 Kilometer Luftlinie erfolgen.

Vorerst begnügen sich die Geodäten für die Feldarbeit mit neutralen Benennungen. Von verschiedenen Punkten auf den Ebenen Nordindiens ins Visier genommen, zeigt sich der "Gipfel XV" mit 29.002 Fuß (hundert Jahre später auf 29.028 Fuß =8.848 Meter berichtigt) als die höchste Erhebung. Gemäß den Gepflogenheiten sollen bei der trigonometrischen und geographischen Erkundung jeweils bereits im Land selbst geläufige Namen übernommen werden. Der Gipfel XV ist aber unbenannt geblieben. Erst später wird geltend gemacht, er heiße tibetisch Chomolungma.

Zehn Jahre vor Everests Tod ergreift dessen einstiger Adlatus, Oberst Andrew Waugh, die Initiative. In einem Brief erklärt er: "Wir haben nun die Werte für den Gipfel XV. Seit einiger Zeit wissen wir, daß dieser Berg höher ist als alle anderen in Indien vermessenen Gebirge, und alles spricht dafür, daß er der höchste Berg der Welt ist. Ich schließe beglaubigte Angaben bei, sie betreffen die geographische Lage und die Höhenverhältnisse des - Mount Everest."

Neue Furche-Serie: Hinter dem Begriff: ein Mensch Eigennamen, die als stehende Begriffe in den internationalen Sprachgebrauch übergingen - kaum jemand denkt dabei an die Persönlichkeiten, von denen sie sich herleiten. Deshalb begab sich Furche-Mitarbeiter Gunther Martin auf Spurensuche. Er berichtet in den nächsten Monaten in loser Folge über abenteuerliche Schicksale, romanhafte Karrieren, wahrhaft merkwürdige Charaktere und bedeutende Leistungen.

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