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Manipulation statt Dichtung

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Sehr oft werden neue Stücke in Wien erst aufgeführt, wenn sie bereits zahlreiche Bühnen des deutschsprachigen Auslands dargeboten haben. Dieses Zögern war besonders für das Burgtheater kennzeichnend, nun ist es das Volkstheater, das ein Bühnenwerk, das besondere Aufmerksamkeit erregte, eineinhalb Jahre nach der Uraufführung in der Reihe „Konfrontationen“ herausbringt: das Stück „Hölderlin“ von Peter Weiss. Die Wiedergabe hat nur noch regionale Bedeutung, die bundesdeutsche und Schweizer Kritik gab ihr ausführliches Urteil längst ab. Da dieses Stück aber eine markante Position in der Entwicklung der deutschen Dramatik einnimmt, hat die Aufführung in Wien durchaus Berechtigung.

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Sehr oft werden neue Stücke in Wien erst aufgeführt, wenn sie bereits zahlreiche Bühnen des deutschsprachigen Auslands dargeboten haben. Dieses Zögern war besonders für das Burgtheater kennzeichnend, nun ist es das Volkstheater, das ein Bühnenwerk, das besondere Aufmerksamkeit erregte, eineinhalb Jahre nach der Uraufführung in der Reihe „Konfrontationen“ herausbringt: das Stück „Hölderlin“ von Peter Weiss. Die Wiedergabe hat nur noch regionale Bedeutung, die bundesdeutsche und Schweizer Kritik gab ihr ausführliches Urteil längst ab. Da dieses Stück aber eine markante Position in der Entwicklung der deutschen Dramatik einnimmt, hat die Aufführung in Wien durchaus Berechtigung.

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Das ist ein Bilderbogen, der den Lebenslauf Hölderlins vor allem in politischen Diskussionen von der Tübinger Studentenzeit über die Hauslehrertätigkeit bei Kalb und Gontard bis in die Jahre verfolgt, die er geistesgestört in der Turmstube des Tischlers Zimmer wieder in Tübingen verbrachte. Die französischen Wissenschaftler Maurice Delorme und Robert Minder hatten den Einfluß der Französischen Revolution auf Hölderlin untersucht, Pierre Bertaux sah in dessen Werk vor allem Chiffren brisanter politischer Aussagen, in ihm selbst einen Girondisten. Von da ausgehend funktionierte Peter Weiss seinen Hölderlin völlig zu einem Revolutionär um, menschliche Beziehungen lösen sich in politische Dialektik auf. Da hat „Diotima“ nur am Rande Platz, Empedokles ist als eine Art Che Guevara aufgefaßt, und Hölderlin wird nicht wahnsinnig, sondern zieht sich, als seine Freunde Hegel, Schelling, Fichte von ihren politischen Jugendvorstellungen abrücken, laut Peter Weiss Wahnsinn vortäuschend in innere Emigration, was allerdings im Stück nicht spürbar wird, zurück.

Das ist Manipulation. Viel eher charakterisiert Hölderlin im Politischen der Satz aus „Hyperion“, wonach der Staat dadurch zur Hölle wurde, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte. Willkürlich zu Karikaturen verformt werden die Freunde — und vor allem Goethe und Schiller, denen gegenüber sich Hölderlin überaus anmaßend benimmt. Man hat gesagt, Weiss habe sie als seine Alptraumvorstellungen auf die Bühne gestellt. Aber über Goethe schrieb Hölderlin an Hegel: „Goethen hab' ich gesprochen, Bruder! Es Ist der schönste Gruß unseres Lebens, so viel Menschlichkeit zu finden bei so viel Größe.“ Und in einem Brief an Schiller bekennt er: „Solange ich vor Ihnen war, war mir das Herz fast zu Mein, und wenn ich weg war, könnt' ich es gar nicht mehr zusammenhalten.“ Hierin zeigt sich Hölderlin wie er wirklich war.

Selbstverständlich kann der ßtük-keschreiber historische Gestalten verändern. Aber nicht, indem er ihr Wesentlichstes amputiert. Die Dimension Hölderlins schrumpft kläglich ein, die Beziehung zur Transzendenz wird völlig eskamotiert. Vielleicht hat Hermann Bahr die beste Formulierung für Hölderlin gefunden: „Unruhe zu Gott.“ Aber für eine Dimension, die über den materiellen Bereich hinausreicht, fehlt heute den meisten Menschen die Voraussetzung. So koinzidiert der Hölderlin von Peter Weiss mit einer bestimmten, sehr niederen Geisteslage.

Peter Weiss will das Stück als aktuell aufgefaßt wissen. Dem entspricht Regisseur Rudolf Kautek in seiner trefflichen Umsetzung der Vorgänge, indem er eine Band auf der Bühne unterbringt, die nicht nur zwischen den einzelnen Abschnitten spielt, indem sich der Sprecher bei den Einbegleitungen der Szene des Lautsprechers bedient und Maxi Tschunko in den Kostümen Historisches und Modernes vereint. Auf der Hintergrundwand läßt der Bühnenbildner Georg Schmidt riesige weiße Phantasieköpfe der wichtigsten Agierenden im Profil erscheinen, ein trefflicher Einfall. Ansonsten gibt es nur Andeutungen der Schauplätze.

Gesamteindruck: Es werden die spezifischen Mittel des agitatorischen politischen Theaters eingesetzt. — Kautek überkarikiert Geothe und Schiller durch goldenen Lorbeerkranz und goldene Ordensschärpe, Schiller überdies durch einen Apfel, an dem er riecht. Die Szene mit Che-Guevara-Empedokles läßt er weg. Dem Hölderln gibt Alfred Pfeiffer das ständig Hitzig-Erregte, die späte geistige Verstörung wird glaubhaft. Tatjana Schneider als „Diotima“ bleibt stückbedingt belanglos. Ansonsten gibt es kaum schauspielerische Aufgaben. Die Darsteller sind fast nur Sprecher, nicht nur Franz Morak als „Sprecher“.

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