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Max-Frisch Gedenken im Zürcher Schauspielhaus

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In Wien-Schwechat schüttet der Himmel sich aus, in Zürich-Kloten fällt noch kein Tropfen. Aber er wird bald fallen. Auch am nächsten Morgen während der Probe zu Max Frischs „Triptychon” lehnt mein Regenschirm trocken in der Ecke der Probebühne. Joachim Bissmeier und ich spielen die dritte Szene noch einmal ganz für uns. Frisch hat sie sich gewünscht.

Die Bank, die uns die Technik des Zürcher Schauspielhauses hingestellt hat, ist vielleicht etwas zu grün und wohl auch zu wenig lang für eine Pariser Parkbank... da, die ersten Tropfen. Sehr konzentriert sind wir zwei dann am Abend, sehr aufgeregt.

Die Bühne des Schauspielhauses Am Pfauen: Rettungsanker für verfolgte und emigrierte Kollegen im Zweiten Weltkrieg, Überlebensbühne.

Abends laufen wir ins Theater, es hagelt bereits. Ein voller Zuschauerraum, nachher im

„Keller” hören wir Stellen aus Frischs Tagebüchern, der ganze Tag hat ihm gehört, eine Stadt gedenkt, eigentlich hätte es sein 80. Geburtstag sein sollen...

Im Grunde bliebe der Widerstand, hat er hinterlassen.

Mitten zwischen den Vorlesenden wird plötzlich ein Transparent ausgespannt - Mittemacht ist vorüber - die Köpfe der Zuhörenden verdecken uns Spätergekommenen die Namen der Initiatoren, schon liest eine junge Frau in höchstem Diskant, denn Unwillig-keitsmurmeln erhebt sich, aus einem Flugblatt, Unverständlichstes erreicht uns, denn die Aktivistin kreischt natürlich Schweizerdeutsch und nach Frischs Prosa signalisiert die tönende Mischung zumindest für unsere ausländischen Ohren absolute Ungefährlich-keit...

„Was hätte Max Frisch wohl gesagt, daß in Zürich trotz Rosa-Grün immer noch die Spekulanten regieren?”

„Wir sind hier, um konkret Widerstand zu leisten gegen den sozialdemokratischen Repräsentanten dieser Stadt, der uns aus den Häusern Soundso-Straße Nr. X und Y räumen will. Wir sind hier, um den Auftritt... zu stören...”

Der Diskant wird ganz unverständlich, aber die Frau darf zu Ende lesen. Ein, wie sie sagt, Genosse hätte bei einem überraschenden Gummischroteinsatz der Polizei am 1. Mai ein Auge verloren, man wisse nicht, ob er, ein Kurde, ganz erblinden werde. Dann rollen sie ihr Transparent wieder ordentlich ein und sind weg.

Über den Zuhörerköpfen schaukelt schon mein Papierteller mit Salat, ach ja, wir haben noch nichts gegessen. Wo gehen sie mit dem Transparent hin? Wäre Max Frisch ihnen nachgegangen?

Er war ihnen kein bequemer Literat, den Schweizern, und nicht nur den Schweizern.

„Was verstehst du unter Macht?” „Kapital.” (Aus Frischs Tagebuch 1966-71)

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