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Paris Gütersloh — 85 Jahre

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„Stromschnelle, Windsbraut, das Pathos selbst“, hatte nach dem ersten Weltkrieg Hermann Bahr den damals 32jährigen Albert Paris Gütersloh genannt, er sei „wie die Zukunft, gleichsam aus dem Hinterhalt eines fernen Jahrhunderts und siedendheiß von Uberlebendigkeit“ über seine Zeitgenossen hergefallen. Der Fünfundachtzigj ährige — sein Geburtstag ist am 5. Februar —, der sich heute vorweg als Schriftsteller bezeichnet, war Novize des Deutschen Ritterordens, Bühnenbildner und Regisseur bei Max Reinhardt in Berlin, Oberregisseur am Münchner Schauspielhaus, Pariser Kunstkritiker für ein Budapester Blatt, Professor der Wiener Kunstgewerbeschule, während des letzten Krieges Hilfsarbeiter in einer Flugzeugfabrik, dann Professor und später Rektor der Wiener Akademie der bildenden Künste, Präsident des Wiener Art Club, der Wiener Secession.

Mit dem Roman „Die tanzende Törin“ hatte er im Jahr 1909 den Expressionismus eingeleitet, „Lügner unter Bürgern“, „Die Rede über Franz Blei oder Der Schriftsteller in der Katholizdtät“ und die Legende „Kain und Abel“ mit eigenen Lithographien folgten. Malerei und Graphik herrschten lange vor. Aus impressionistischer Fleckenmalerei entstand eine Darstellung von seltsamer, fast gläserner Schärfe. Kälte schirmte da innere Glut ab. Besonders reizvolle Guaschen lassen im heimelig Ansprechenden, im überaus Sinnlichen eminent Skurriles, Bizarres spüren. Scheinbar nebensächlich sprechen sich Hauptsachen aus. Gütersloh wurde zum Initiator der Wiener Schule des phantastischen Realismus.

Als Schriftsteller folgten 1946 der Roman „Eine sagenhafte Figur“ und 1962 sein Hauptwerk „Sonne und Mond“, an dem er seit 1935 gearbeitet hatte. Das faszinierend Artifizielle der Malerei kennzeichnet auch seine vielfach hermetisch verschlüsselten Dichtungen. Anno 1930 hatte Heimito Doderer in dem Buch „Der Fall Gütersloh“ von der Doppelnatur dieses Schriftstellers und Malers gesprochen und erklärt, er schreibe „mit Pinsel oder Feder immer des Schicksals höchsteigene Handschrift“.

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