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Schlimme Geschichten aus Wien

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Kürzlich wurde im Hamburger Thalia-Theater das Horväth-Stück „Geschichten aus dem Wienerwald“ von dem Kölner Regisseur Jürgen Flimm (Jahrgang 1941) in Szene gesetzt. Er erzählt nicht eigentlich Geschichten aus Wien, es gibt sie nämlich überall — auch wenn eine Menge Wiener Schauspieler daran beteiligt sind. Sie zeigen die Menschen in ihrer Abhängigkeit voneinander und vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Krise. Allein Flimm verwandelt Honraths prallen Realismus in einen anämischen Symbolismus. Seine Wiener Typen müssen bei ihm immer wieder zu „lebenden Bildern“ erstarren. Das mimische Talent der Schauspieler wird dadurch über Gebühr eingeengt. Farbige Chargen, wie etwa der Fleischhauergeselle Havlitschek oder der > preußische Student .Erich, verwandelten sich zu bleichen Schemen. Die grandiose wienerische Figur des Rittmeisters, der man leider den ganzen Dialog mit dem Preußen weggekürzt hatte, wirkte, als sei er selbst irgendwo in der Nähe von Kassel angesiedelt. Flimm schneidet die Szenen mit nerventötender Langsamkeit aus der Bühne.

Die Streichungen: Sicher müssen sie sein, um den Theaterabend in erträglichen Grenzen zu halten, doch wurden vollblutig charakteristische Szenen herausgenommen, wie etwa die witzige Badeszene zwischen Valerie (Gusti Wolf) und dem Zauberkönig (Harry Fuß). Auch die Tatsache, daß der Zauberkönig nicht wollüstig an Valeries Korsett schnuppern darf, nimmt der Figur eine wichtige Dimension, die zum Verständnis des Oberspießers mit der doppelten Moral unbedingt notwendig ist. Noch schlimmer aber wurde mit der Szene im „Maxim“ umgegangen. Das bei Horväth breit ausgemalte zweideutig-augenzwin-kernde Naoktprogramm wurde zu einer wüsten Transvestiten-Schau umfunktioniert, wie sie im Jahre 1931, in dem die „Geschichten“ doch spielen, keinesfalls möglich gewesen wäre.

Flimm macht aus der Schlußszene, in der sämtliche „goldenen Wiener Herzen“ sich über dem ermordeten Baby der Marianne zusammenfinden, eine schauerliche Apotheose des Betroffenseins. Dabei kommt es doch darauf an, zu zeigen, daß der Spießer frei von schlechtem Gewissen ist und selbst über Kinderleichen hinweg sich ein gutes Gewissen zu bewahren sucht. Man muß sich tatsächlich fragen, ob der Regisseur weiß, um was es dem Dichter in seinem Stück geht. Die blendenden Wiener Schauspieler hatten es nicht leicht, sich in dem etwas blutleeren Regiekonzept zu behaupten.

Man wird nun gespannt auf die für das Frühjahr 1974 angekündigte Inszenierung des gleichen Horväth-Stückes im Burgtheater warten, ob sie den Intentionen des Dichters gerechter werden wird.

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