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SDI in schwerer Krise

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Die sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen um den Vertrag über die Begrenzung der strategischen Rüstung (SALT II) in Genf, können als ein Durchbruch in den Beziehungen zwischen den beiden Supermächten betrachtet werden. Auf der anderen Seite ist das von US-Präsident Ronald Reagan als „strategisches Faustpfand“ gepriesene SDI-Programm (Strategie Defence Initiative) ins Stocken geraten. Obwohl der Direktor des SDI-Büros, General James Abrahamson, vor kurzem im belgischen Fernsehen erklärte, mit der Stationierung eines SDI-Systems zur strategischen Raketenabwehr sei „irgendwo zwischen 1992 und 1993 zu rechnen“, befindet sich das SDI-Programm in einer weitaus schwereren Krise, als offiziell eingestanden wird.

Eigentlich sollte in diesen Tagen die mit einem Kostenaufwand von drei Milliarden US-Dollar gebaute militärische Raumflugzeug-Startanlage im kalifornischen Vandenberg, dieser strikt geheimen Luftwaffenbasis, eingeweiht werden. Aber nach der „Challenger“-Katastrophe wurden die verbliebenen drei Maschinen mit Startverbot belegt.

Es darf sogar an der Fortführung des Programms, wie es Ronald Reagan 1983 verkündete, gezweifelt werden. Denn selbst wenn die „Challenger“ nicht explodiert wäre, selbst wenn die Raketen „Titan“ und „Delta“, die

nach Fehlstarts zunächst nicht mehr verwendet werden dürfen, zur Verfügung ständen, auch dann wäre es zu bedenklichen Engpässen gekommen, weil die USA einfach nicht das SDI-erforderliche Startpotential zur Verfügung haben.

Was Reagan 1983 in Auftrag gab, hätte mindestens 5000 Starts in den Weltraum vorausgesetzt. Um das gesamte Raketenschutzsystem auf Erdkreisbahnen zu stationieren, wären 58 Jahre lang Transporte in den Weltraum notwendig gewesen — dieser Schätzung lag die Annahme zugrunde,

daß vier oder fünf Raumflugzeuge und auch Raketen zur Verfügung stehen würden. Doch jetzt fehlt die „Challenger“, die Raketen gelten erst einmal als nicht mehr zuverlässig.

Und selbst dann, wenn die Missionen wieder beginnen, müssen SDI-Frachten zurückstehen, weil das US-Militär aktuellere und deshalb noch wichtigere Lasten zu befördern hat, Kommunikations- und Aufklärungssatelliten etwa.

Für die Wissenschafter, die sich für SDI verpflichtet haben, sind die Aussichten ungünstiger geworden. Sie können nicht mehr

forschen wie beabsichtigt, weil ihre Experimente nicht oder viel später durchgeführt werden können. Viele dieser Wissenschafter litten unter Depressionen, berichtete die „New York Times“, und nicht wenige trügen sich mit dem Gedanken, die SDI-Mitarbeit aufzukündigen. Das hat natürlich auch Einfluß auf jene europäische Staaten, die sich zur SDI-Mitarbeit verpflichteten. Diese Staaten oder SDI-interessierte Einzelfirmen müssen jetzt ihre Planung, ihr Engagement überdenken.

Es erscheint fraglich, ob die USA willens sind, einen „Challen-ger“-Ersatz zu bauen. Eine neue Maschine würde immerhin drei Milliarden Dollar kosten, und dafür würde nur Technologie der siebziger Jahre verwendet werden, denn so alt sind die Raumflugzeug-Entwürfe.

Deshalb wird ernsthaft erwogen, wieder zur größeren Verwendung von Raketen zurückzukehren. NASA und Luftwaffe haben bereits im Auftrag des Weißen Hauses diesbezüglich geheime Studien angefertigt. Sie sehen eine SDV (Shutle Derived Vehicle) genannte Mammut-Rakete vor, die bis zu 75.000 Kilogramm Nutzlast befördern kann.

Ronald Reagans Wunsch, SDI noch während seiner Präsidentschaft, also vor Ende 1988, vom Forschungsstadium in das des „aktiven Experimentierens“ zu führen, läßt sich nicht erfüllen.

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