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nicht beides und Schwert

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nicht gibt, sondern auch noch nicht auf dem Reißbrett. Das SDI-Programm wird aber nicht nur eine weitere technologische Revolution erfordern, sondern auch die Weiterentwicklung der theoretischen Physik. Denn in dem Programm gibt es eine Reihe von Elementen, auf die wir bis jetzt einfach noch keine Antworten wissen.

Natürlich ist dies alles ungeheuer aufregend, weil es auf die Wissenschaft wie die Technologie stimulierend und herausfordernd wirkt — wie seinerzeit der Wettlauf auf den Mond.

In einer solchen Situation sich frontal gegen das Forschungsprogramm zu stellen, wäre töricht. Denn natürlich sollen wir auf diesem Gebiet forschen und zwar so viel wie möglich.

Trotzdem aber glaubt die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Wissenschafter nicht an die erfolgreiche Realisierung des Programmes - ganz einfach darum nicht, weil sie an der vollständigen Problembewältigung in Zusammenhang mit der SDI zweifeln.

Das ganze Programm beruht auf einem gestaffelten System der Verteidigung:

• die Zerstörung der feindlichen Raketen während der Startphase, ehe die Gefechtsköpfe abgestoßen worden sind;

• die Zerstörung der Nukleargefechtsköpfe während ihrer Marschphase im Weltall, ehe der Behälter an der Spitze einer Rakete seine atomare Sprengfracht freigibt;

• dieZerstörungderSprengköp-fe während ihres Anfluges auf die USA, was mit landgestützten Raketen erfolgen würde.

In den ersten beiden Phasen geschähe die Zerstörung durch im Weltraum stationierte Systeme, zum Beispiel mit Partikel- und Laserstrahlen sowie Nuklearwaffen. Diese Systeme erfordern den Bau von riesigen Stationen mit Radar- und Infraroteinrichtungen im Weltraum ebenso wie die Stationierung ganzer Computer-Anlagen im All, die es zu diesem Zweck ebenfalls noch nicht gibt; sie müßten immerhin dazu imstande sein, zwischen Sprengkopf-Attrappen und echten Nukleargefechtsköpfen zu unterscheiden.

Was die Effektivität eines solchen Verteidigungssystems angeht, wurde mir gegenüber ein Wirkungsgrad von 95 bis 98 Prozent genannt. Vor dem Atomzeitalter war dies ein enormer Wirkungsgrad für ein Defensivsystem. Aber im Nuklearzeitalter, wo die Atomwaffen eine so ungeheure Zerstörungskraft besitzen, bedeuten die zwei bis fünf Prozent das Defensivsystem überwindenden Offensiv-Mittel eine ganze Menge.

Nun meine ich, daß ein Verteidigungssystem rund um Raketensilos — also eine Punktverteidigung beziehungsweise „Terminal Defense” (Inneratmosphärische Verteidigung) — durchaus realisierbar ist. Trotzdem: Die Punktverteidigung ist wahrscheinlich nur erreichbar, wenn wir uns gleichzeitig über die Begrenzung von Offensivwaffen einigen könnten.

Dies wäre wahrscheinlich die am wenigsten destabilisierende Kombination, bei der auch neueste Technologien eingesetzt werden könnten.

Aber es gibt noch weitere Einwände gegen die Raketen-Abwehr: Dieses System als defensiv zu erklären, stimmt nur aus dem Blickwinkel der Amerikaner. Für jedermann, der über militärische Fragen nachdenkt, ist einleuchtend, daß jenes Land, das ein solches System besitzt, praktisch unverwundbar ist. Gleichzeitig besitzt ein solches Land Erstschlagskapazität, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, selbst vernichtet zu werden. Die sowjetische Antwort auf Reagans SDI wird deshalb ein ähnliches Programm sein, was einen neuen Rüstungswettlauf bedeutet.

Die größte Schwäche der SDI aber betrifft nicht die mögliche Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Programmes, sondern der Weg von jetzt an bis zu jenem Zeitpunkt, an dem die Ergebnisse der Forscher bekannt werden.

Ich kann einfach nicht verstehen — und das hat mir bis jetzt noch niemand erklärt, die für das Programm Verantwortlichen miteingeschlossen -, warum die SDI zu einer Verminderung von Offensivwaffen führen wird. Die logische Konsequenz der Strategischen Verteidigungsinitiative ist doch, daß sie zu einer enormen Vermehrung von Offensivwaffen führen wird. Denn der offensichtlichste und billigste Weg zur Uberwindung eines solchen Abwehrsystems ist doch die Anhäufung des eigenen Offensivpotentials. Das werden die Sowjets wohl auch tun.

Eine andere Frage, die die Militärs und Verantwortlichen im Pentagon noch nicht gestellt, geschweige denn beantwortet haben, ist: Was geben die USA denn anstelle des „Star-Wars”-Pro-grammes auf? Denn man kann nicht alles haben. Auch unsere Ressourcen sind beschränkt. Woher nehmen wir die finanziellen Mittel, um gleichzeitig unsere konventionellen und strategischen Streitkräfte weiter auszubauen, zusätzliche Atom-U-Boote in den Dienst zu stellen, mobile Raketen sowie Stealth-Bomber und -Marschflugkörper zu entwickeln und zu bauen? Eine ungeheure kostspielige Anschaffungsliste. Dazu die sündteure Raketenabwehr — aber anstelle von was? Diese Frage wird im Kongreß ganz bestimmt gestellt werden.

Ich möchte hier noch Andreij Sacharow zitieren, der vor vielen Jahren einmal festgestellt hat, daß man im Nuklearzeitalter nicht gleichzeitig beides haben kann: das Schwert und den Schild. Dieser Ansicht waren ja auch wir Amerikaner in den frühen Siebziger jahren.

Bisher ist das „Star-Wars”-Programm nicht über das Forschungsstadium hinausgekommen. Wir sind noch Jahre von der eigentlichen Testphase entfernt. Daher können wir besser darüber nachdenken als seinerzeit über die sogenannten MIRV-Träger, die. Mehrfachsprengkopf-Raketen, über die heute viele Leute froh wären, wenn wir sie niemals eingeführt hätten, weil sie einen destabilisierenden Effekt haben.

Wir haben beim SDI-Programm also Zeit, diskutieren wir die damit zusammenhängenden Probleme aus. Insbesondere hoffe ich, daß der Kongreß eine nationale Debatte über die SDI beginnen wird.

Nichtautorisierte Ubersetzung und Bearbeitung eines Kurzreferates, das Professor Bia-ler im Jänner bei einer zweiwöchigen Veranstaltung des „Salzburg Seminar” zum Thema „Amerikanisch-europäische Beziehungen zur UdSSR” im Salzburger Schloß Leopolds-kron gehalten hat. Die FURCHE wird auf diese Veranstaltung noch mehrfach zurückkommen. Ubersetzung aus dem Englischen: Burkhard Bischof.

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