6831476-1974_41_12.jpg
Digital In Arbeit

Stirb und werde

Werbung
Werbung
Werbung

Der Umschlag des dritten Bandes der „Heimat Burgtheater” von Fred Hennings zeigt den Zuschauerraum der „Burg” in seinem heutigen Zustand. Betritt man das Theater über eine der beiden Prunkstiegen, die jeden, auch den ahnungslosesten Besucher, zu festlichem Schreiten zwingen, so fällt die Nüchternheit und seelische Kühle des Innenraums, der einst ein kaiserlicher Salon des

19. Jahrhunderts war, über jeden, der die Erinnerung an einst in sich trägt und sich nun immer wieder auf unwillkürlichen Regungen der Abwehr und des Distanzhaltens ertappt. Erst wenn der Vorhang sich hebt, bricht die Distanz zusammen, Sprache, Stil und Gestik der Darsteller trägt den Sieg davon, man ist im Burgtheater. Wie einst, so heute.

Distanz und Nüchternheit vermochte Fred Hennings in seinem jüngsten Werk zu gewinnen: Distanz sich selbst und den eigenen Wandlungen gegenüber. Aber diese Nüchternheit und diese Distanz brechen sofort in sich zusammen, wenn es um die Wandlungen des Hauses geht, um die Schicksale des Burgtheaters zwischen 1938 und 1971. Da lodert dann wieder die alte Flamme empor, die großartig beherrschte Unbeherrschtheit, die königliche Fähigkeit zum Überwinden, das leidenschaftliche Anteilnehmen, die zarte Rücksichtnahme und Achtung vor allem Kostbaren und Unersetzlichen — der ganz persönliche Lebens- und Bühnenstil (für ihn ist es dasselbe) des Fred Hennings. Denn im Laufe der Wandlungen, die dieses sein jüngstes Buch beschreibt, erscheint mit seinem zweiten, dritten und vierten Beruf — neben dem Beruf des Menschendarstellers auch jener des Forschers, des Vortragenden und des Schriftstellers —, der vollends gereifte und vollendete Fred Hennings, wie wir ihn heute kennen. Weltuntergänge mußten hereinbrechen, Irrtümer und Enttäuschungen mußen überstanden werden, Hilfe kannte er bieten und selber mußte er Hilfe annehmen, unser aller absurdes Dasein im Trümmer-Wien der unmittelbaren Nachkriegszeit war zu durchleben, Direktoren und ganze Schauspielgenerationen mußten kommen und gehen, das alte Haus war neu zu schaffen, ehe diese letzte Höhe erreicht war. Die Höhe einer Menschlichkeit, die sich ln Schicksalen jeglicher Art bewährt hat.

Denn in allem, was geschah, in Triumphen und Niederlagen, auf Irrwegen und in der Umkehr, auf der Bühne, am Vortragspult und am Schreibtisch — immer blieb Fred Hennings, was er seinem Wesen nach war: ein ganzer Kerl! (Er verzeihe dieses vorlaute Wort dem einstigen Theaterbesucher und späteren Leser — aber es ist das zutreffende.)

Nur ein ganzer Kerl konnte Schicksale bestehen, wie er sie bestand, und kann davon erzählen, wie Hennings davon in diesem Buche erzählt. Distanziert und leidenschaftlich im gleichen Atemzug.

HEIMAT BURGTHEATER. 1. Band: DES HAUSES UND MEINE WANDLUNGEN (11. März 1938 bis 31. August 1971). Von Fred Hennings. Verlag Herold, Wien-München 1974. 196 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung