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FRED HENNINGS / VON LUDOLTZ ZU RADOSIN

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„Laienbruder in der Zukunft der Historiker.“ So bezeichnet sich Kammerschauspieler Prof. Fred Hennings lächelnd selbst, wenn die Rede auf sein erfolgreiches Wirken als sehr persönlicher Interpret der Wiener Kulturgeschichte kommt. Eines seiner schönsten Erlebnisse war der Augenblick, da er sein erstes Buch, „Zweimal Burgtheater“, fix und fertig in Händen hielt. Mittlerweile erschien die Franz-Stefan- Biographie und der von der großen treuen Gemeinde des Hennings- Vortragspublikums schon längst erwartete erste Band der ,, Ringstraßensymphonie“. Während der Herold-Verlag die Auslieferung des zweiten Bandes vorbereitet, feierte der Künstler nun sein vierzigjähriges Burgtheaterjubiläum. Übrigens gibt es auch — echt österreichisch — einen „Präzedenzfall“ für solch ungewöhnliche ausgeprägte Doppelbegabung: den theresianischen Hof- schauspieler Friedrich Weißkern, der eine durchaus ernstzunehmende Topographie Niederösterreichs schrieb.

Man hält Professor Hennings oft für einen gebürtigen Wiener, dabei stammt er aus Klagenfurt. Sein Vater, ein Bezirkshauptmann, schickte ihn freilich schon in jungen Jahren nach Wien, aufs Theresianum. Nach zwei Semestern Jus, verbunden mit gleichzeitigem Schauspielunterricht, rückte er bei Kriegsbeginn zu den Siebenern ein, stand in Galizien und an der Italienfront, wurde als Offizier zu den neuauf- gestellten Kärntner Freiwilligen Schützen versetzt und machte die dem Zusammenbruch folgenden Abwehrkämpfe mit. Damals war er allerdings der Oberleutnant Franz von Pawlowski, der, schließlich wieder Zivilist, den Bühnennamen Fred Hennings annahm. Über Sankt Pölten und Marienbad kam er an die Josefstadt zu Ludwig Jarno. Dort fand der hochgewachsene, aristokratische Naturbursch aus Kärnten wenige Möglichkeiten zur Entfaltung, darum ging er kurzerhand zur Staatlichen Wanderbühne, wo er ein Jahr lang Klassiker spielen konnte. Die nächste Zwischenstation war Frankfurt am Main. Am 1. September 3 923 trat er in das Ensemble des Burgtheaters ein und debütierte am 15. September mit Rosa Albach-Retty als Partnerin in Dario Nicodemis Zweipersonenstück „Jahreszeiten der Liebe“. Damals wurde er, was er bis heute blieb: Burgschauspieler. In der großen, verpflichtenden Bedeutung des Wortes.

Gern erinnert sich Hennings des vierzigjährigen Bühnenjubiläums von Georg Reimers, der sich für diesen festlichen Anlaß die Rolle des Pater Hyazinth in Molnärs „Der Schwan“ aussuchte. Er selbst gab den Prinzen. Nun war die Reihe an ihm, nach vier Jahrzehnten mit zahllosen großen Burgtheaterabenden als Charakterdarsteller, der das klassische Maß ebenso souverän beherrscht wie den Konversationston. Und Hennings wählte die gleiche Rolle. Denn ist diese Wandlung nicht charakteristisch für sein eigenes reiches Leben, der Hyazinth, dieser fürstliche Klosterbruder, der einst auch als Kavalier Uniform und Frack trug, und daun in heiter-gelassener Überlegenheit das Spiel der Liebe und des Allzumenschlichen beobachtet? Hennings, der im Wien der Zwischenkriegszeit vital aus dem Vollen lebte wie ein junger Edelmann der Renaissance, der als erster zu eleganten Anzügen ein verwittertes Trachtenhütei trug, und sich in seinen Lieblingslokalen den Kaiserjägermarsch Vorspielen ließ, hat die Begnadung, nach einem erfüllten Leben in ein erfülltes Alter zu treten. Er spricht dieses bedeutungsvolle Wort ohne Pathos, mit tiefer innerer Überzeugung aus, weiß sich harmonisch im Einklang mit dem natürlichen Lauf des Seins.

Im Haus Hennings gibt es keine Sammlungen von Bühnenphotos, Programmen und Kritiken. „Ich überlasse es Theaterwissenschaftlern mit statistischen Neigungen, die Zahl meiner Burgtheaterrollen zu ermitteln.“ Ein Stück freilich, in das er auch symbolisch „hineinwuchs“, hebt er besonders hervor: Franz Theodor Csokors dramatischen Nekrolog auf das alte Österreich, „3. November 1918“. Bei der Uraufführung 1936 spielte er den Oberleutnant Ludoltz und verkörperte damit das Schicksal seiner eigenen Frontgeneration aus dem Grenzland. Bei der Neuinszenierung im Jahr 3 958 übernahm er die Rolle des Obersten von Radosin, den der Dichter als einzigen nicht nach Stammeszugehörigkeit charakterisiert, weil er einfach Österreicher ist, in der großen, von Jahrhunderten geprägten Selbstverständlichkeit. Der Künstler bekennt, daß er in beiden Rollen, die ihn so unmittelbar persönlich betrafen, innerlich „ganz weg von der Bühne“ war. Ludoltz und Radosin — diese beiden Gestalten stehen an den Grenzpunkten eines Spannungsfeldes, in dem das Zeitverhaftete mit dem Überzeitlichen zusammentrifft. Fred Hennings’ Weg führte mitten durch dieses Spannungsfeld zu jenem Österreich, von dem Csokor sagt, es sei deshalb unvergänglich, weil es nie ganz ein Reich von dieser Welt war…

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