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Alte, neue Heimat

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Der Einband zeigt den Zuschauerraum des Burgtheaters, wie er aussah, ehe im zweiten Weltuntergang, den wir erlebten, alles in Schutt und Asche sank. Den Zuschauerraum unserer Jugend, diesen unbeschreib-baren rot-gold-elfenbeinfarbenen Salon, in dem man bei einem Kaiser zu Gast war, auch, nachdem man den Kaiser einsam im Exil hatte sterben lassen; den Zuschauerraum, der jeden Besucher, auch im Stehparterre und auf den Galerien, unauffällig zwang, sich in Haltung und Sprache seiner diskreten Vornehmheit anzupassen; den Zuschauerraum, der wohl gerade deshalb, weil er nicht sonderlich akustisch war, die Schauspieler auf der Bühne veranlaßt«, ihr sprachliches Können zu einer Vollendung zu steigern, die außerhalb Wiens und Österreichs ihresgleichen suchte (und bis zum heutigen Tage sucht).

Hier, durch diesen Zuschauerraum, klang, was Generationen von Burg-schauspielern oben, auf der Bühne, gestaltet hatten: das österreichische Hochdeutsch, eine andere Hochsprache nämlich als jene, die im Deutschen Reiche galt oder jene, die bei den Schweizer Nachbarn gilt. Wie die Academie Frangaise seit Kardinal Richelieu über Wahrung und Neuformung des Französischen wacht, so schuf und formte das Ensemble des Burgtheaters von den Brettern herab, die eine Welt nicht nur bedeuteten, sondern waren, den Tonfall, die Wortwahl, die begleitende Gestik, den unwidersprochenen Standard, dem sich auch In der Ersten Republik jeder Österreicher unterwarf, wenn er wo immer, wann immer, wofür immer, seine Stimme erhob, von den Parlamentsabgeordneten bis zur Dynastie im Exil. Auf welche Weise, durch welche (geheimen Kanäle eine neue, von irgendeinem Burgtheatermitglied erfundene Betonung, eine in der Burg soeben aufgekommene Sprachmelodie ohne Verzögerung zu den Auslandsösterreichern und sogar bis in die entfernteren Bundesländer gelangte, um dort gierig von allen IntelUgenzbegabten aufgegriffen und mehr-minder glücklich kopiert zu werden, bleibt ein Rätsel. Gewiß, es gab bereits den Hörfunk, aber das erklärt nicht alles.

Von diesen Brettern herab, die mehr als eine Welt bedeuteten, klangen in den Zuschauerraum, der ein Salon war, die Stimmen einer Wohl-gemuth, eines Tressler, eines Willy Thaler, einer Ida Roland, klang der Sprechgesang eines Raoul Asüan — peitschte ironisch, schmetterte militärisch wie eine Trompete, höhnte erschreckend, begehrte auf in Kraft und Herrlichkeit: die Stimme des Fred Hennings.

Des Fred Henntags, der nicht nur das Wort meisterte, das Dichter ihm anvertraut hatten, sondern der, wir wissen es alle seit langem, das Wort meistert, das er selber zu Papier bringt. Der zweite Band seiner Burgtheatererinnerungen ist erschienen. Er beginnt mit dem ein wenig verzagten Erwachen nach dem ersten Weltuntergang und endet mit Schuschniggs Worten „Gott schütze Österreich“, als der zweite Weltuntergang vor der Türe stand.

Hennings verschweigt nichts. Und eben deshalb nahen sie sich wieder, nicht die „schwankenden“, sondern die altvertrauten Gestalten, sie sprechen, kämpfen, leben, spielen. Viel vergessener Glanz kehrt da wieder. Aber auch manche Träne steigt auf. Und fließt heimlich nach innen.

HEIMAT BURGTHEATER: Das republikanische Hoftheater 1919 bis 1938. Von Fred Hennings. Verlag Herold, Wien-München, 1973.206 Seiten.

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