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Lob des Alters

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Wenn man nach den Werbefilmen unseres Fernsehens urteilte, müßte man schließen, daß unser Volk hauptsächlich aus dynamisch herumhopsenden und -laufenden „Teenagers“ und „Twens“ besteht, aus sympathischen jungen Ehepaaren mit entzückenden kleinen Kindern und einer nicht sehr zahlreichen Gruppe von reiferen Menschen „im besten Alter“. Die Wirklichkeit schaut allerdings anders aus. Von den 7,7 Millionen Österreichern sind 1,5 Millionen mehr als 60 Jahre alt.

Es ist also einleuchtend, daß es bei uns zu Lande sehr viele gibt, für die der Prozeß des Alterns, des allmählichen Nachlassens der Kräfte und der Gedanke an den' nahenden Tod eine ständig größer 1 werdende existenzielle Last bedeuten. Eine Last, die um so drückender ist, als den alten Leuten von allen Seiten geradezu suggeriert wird, daß nur die Jugend wirklich zähle, daß eigentlich nur der Leistungsfähige vollwertig sei und daß Greise für ihre Umgebung, ja das ganze Volk, im Grunde nur eine Last seien. Viele Einflüsse wirken zusammen, um den alten Menschen Minderwertigkeitskomplexe einzuflößen. Und so stehen sie denn da, fast um Entschuldigung bittend, daß sie noch am Leben sind, oft krampfhaft bemüht, Jugendlichkeit vorzutäuschen, die längst dahin ist, täglich geplagt von der Angst, in ein Altersheim eingeliefert zu werden, das durchaus nicht immer dem Bild von der „glücklichen Insel“ entspricht, das Österreich so gern für sich gelten lassen möchte.

Kein Wunder, daß in dieser Situation viele sehr interessiert nach dem jüngsten Band von Fred Hennings greifen, allein wegen des Titels „Mir gefällt das Altsein“. Was, Fred Hennings, diesem einst so beschwingten, lange jugendlichen, auf mehr als einem Gebiet sehr erfolgreichen Mann, soll es gefallen, alt zu sein? Ja, und so lesen es denn Tausende, und Tausende werden davon in ihrem Selbstbewußtsein und in ihrer Sicht des Daseins gestärkt. In einer Zeit, in der es Mode geworden ist, das Selbstverständlichste in Frage zu stellen, werden einem einmal Antworten gegeben. In einer Zeit, die für theoretische Modelle schwärmt, wird einem das schlicht erzählte praktische Beispiel eines individuellen Lebens vor Augen geführt. In einer Zeit, in der Millionen „verunsichert“ sind, spricht ein sehr sicher in seinem Glauben Dastehender von der Kraft und von der Freude, die er aus diesem seinen Glauben schöpft.

Kardinal Newman meinte einmal, daß wir nicht durch logische Schlußfolgerungen, sondern durch Persönlichkeiten überzeugt werden. Fred Hennings, der hier zum erstenmal nicht Historisches erzählt, sondern sein eigenes Leben, ist eine solche Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit, die überzeugt, die — wie man heute gern sagt — .glaubwürdig“ ist. Wer den Bericht seiner Konversion — seiner „Hinwendung“ zum Glauben law liest, der muß sich angeregt fühlen, auch für sich -selber .nach der Quelle lebendigen Wassers zu suchen, die Fred Hennings für sich gefunden hat. Wer diesen Bericht einer Begnadigung und der freudig verantwortungsbewußten, dankbaren Antwort darauf liest, dem muß das alte Wort lebendig werden: „Geh hin und tue desgleichen“ (Luk 10, 37).

MIR GEFÄLLT DAS ALTSEIN. Von Fred Hennings. Verlag Herold, Wien-München, 52 Seiten, S 39.—.

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