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Teurer Totentanz

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In Schweden raste durch Wochen das sogenannte Deklarationsfieber. Das war in der Zeit, in der die Steuerklärungen abgegeben werden müssen, was in diesem Land eine unglaublich komplizierte und nervenzerstörende Angelegenheit sein kann. Wer nicht bis spätestens 16. Februar, 24 Uhr, seine Steuerdeklaration abgegeben hat, muß mit fühlbaren Strafen rechnen. Alle Zeitungen bringen in dieser Zeit täglich lange Hinweise von Experten, die den Deklarationspflichtigen diese

Arbeit erleichtern sollen. Tagtäglich erscheinen aber auch Berichte über eben aufgedeckte Steuerbetrügereien, die den Charakter unverhüllter Drohungen haben: „Seht ihr, so geht es den Steuersündern, packt euch selbst am Kragen, damit euch nicht desgleichen geschehe!“

Zu jenen, die in diesen Tagen als abschreckendes Beispiel der Öffentlichkeit präsentiert wurden, gehört auch der Altmeister des schwedischen Films, Ingmar Bergman. Berg-man soll im Jahre 1971 verdiente Honorare im Ausland belassen und sie erst später, und zwar zu niedrig, versteuert haben. Es soll sich um über 500.000 Kronen handeln. Die bekanntgewordenen Einzelheiten lassen keine klaren Schlüsse zu. Freunde Bergmans geben an, daß diese Einkommen in der Schweiz mit 37 Prozent versteuert worden seien und bei der Hereinnahme mit weite-

ren 10 Prozent. Außerdem sei der verbliebene Rest sofort wieder für neue Filmprojekte ausgegeben worden, habe also das Vermögen Bergmans keineswegs vergrößert. Soweit die Verteidiger des weltbekannten Regisseurs.

Schwedens Steuerjäger aber witterten ein Großwild: sie holten Bergman von der Bühne des Dramatischen Theaters, auf der gerade der „Totentanz“ geprobt wurde, sie nahmen auch seinen Rechtsanwalt fest, verhörten beide fünf Stunden lang auf der Polizei, beschlagnahmten Bergmans Paß, sprachen ein Reiseverbot aus und untersagten Bergman sogar, sein Heim auf Färö aufzusuchen. Zwei Tage später wurde der weltberühmte Filmschöpfer nach einem Nervenzusammenbruch in das Krankenhaus Karolinska eingelie-liefert. Die Arbeit am „Totentanz“ mußte eingestellt werden; über hundert Beteiligte gehen nun beschäftigungslos umher und „Dramaten“ sieht sein Arbeitsprogramm zerschlagen, was einen Schaden von Hundertausenden von Kronen mit sich bringen dürfte. Es erscheint überhaupt als fraglich, ob Bergman zu seiner Arbeit wird zurückkehren können oder wollen. Und das geschieht zu einer Zeit, da eine der letzten Schöpfungen des Regisseurs, die „Zauberflöte“ als Fernsehwerk, zu einem Welterfolg geworden ist, der die Theaterkritiker zu begeisterten Aussprüchen veranlaßt hat. Allein dieses Werk dürfte dem schwedischen Staat bedeutend mehr Devisen einbringen als Bergman — möglicherweise — zuwenig versteuert hat.

Außer Bergman sollen jedoch auch fünf seiner engsten Mitarbeiter — darunter eine weltbekannte Schauspielerin — vor Gericht gestellt werden. Auch sie sollen im Ausland erhaltene Honorare nur zu den niedrigeren Auslandssätzen versteuert haben. Es scheint, als hätten sich Schwedens Steuerbehörden vorgenommen, den Großteil dessen, was an Persönlichkeiten in der Film- und Theaterwelt noch vorhanden ist, hinter die berühmten schwedischen Gardinen zu setzen oder ins Exil zu treiben.

Eine Reihe von bekannten Schriftstellern und Künstlern bezeichnete in einem öffentlichen Aufruf das Vorgehen der Steuerbehörden gegen Bergman und seine Mitarbeiter als eine „Hexenjagd“, die die Betroffenen physisch und psychisch zerbre-

chen und die schließlich auch dem Ansehen Schwedens schwer schaden müsse. Leider kann man kaum erwarten, daß dies die verantwortlichen Stellen zur Milderung ihrer Methoden veranlassen wird.

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