6836106-1975_15_10.jpg
Digital In Arbeit

Mystik und bezaubernde Schönheit

Werbung
Werbung
Werbung

Mehr als 180 Jahre nach ihrer Entstehung ist die „Zauberflöte“ Wolf-gang Amadeus Mozarts zum zweitenmal geboren worden. Ingmar Berg-man, dem Altmeister des schwedischen Films, ist nach dreijähriger Vorbereitungszeit (und vierzigjährigem Grübeln, wie er seihst sagt!), das fast unmöglich Erscheinende gelungen, das alte Märchenspiel mit dem oft recht banalen Text Emanuel Schikaneders und der bezwingenden Musik Meister Wolfgang Amadeus' in einer modernen, unserer Zeit angepaßten Form wiedererstehen zu lassen. Mit der Femsehfassung der „Zauberflöte“ beginnt aber auch ein neuer Lebensabschnitt einer oft als tot und hoffnungslos unzeitgemäß bezeichneten Kunstart.

Der Preis, den man dafür bezahlen mußte, war hoch, und er wird noch lange die Betroffenen bellasten. Das ganze Unternehmen — man probte und filmte mehr als ein Jahr und hatte einen riesigen Stab von Mitarbeitern engagiert! — kostete dem schwedischen Fernsehen gut drei Millionen Kronen, und das ist so viel, daß es in seinem übrigen Programm recht schmerzliche Streichungen vornehmen muß. Groteskerweise ist man nun in Stockholm — trotz eines beispiellosen Publikumserfolges ! — nicht einmal imstande, eine Wiederholung zu senden. Eine solche bedingt die Bezahlung von 50 Prozent der ursprünglichen Gage an alle Mitwirkenden, und diese kann man nicht aufbringen! So wird es frühestens erst am 1. Järmer 1976 zu einer Neuaufführung kommen.

Der zweite negative Umstand, der wert ist, erwähnt zu werden, besteht darin, daß es nach diesem Meisterwerk schwer sein wird, eine andere „richtige“ Fernsehoper zu präsentieren, da man jeden neuen Versuch an der Bergmanschen Schöpfung messen wird, und es sehr schwer sein dürfte, ein vergleichbares Niveau zu erreichen.

Und zum dritten ist dsf noch die Gefahr der bildmäßigen Perfektion zu erwähnen, die vor allem die Freunde der Musik beschäftigen dürfte. Wenn wirklich jede Möglichkeit der alten Bühnenmaschinerie und jedes Mittal der modernsten Aufnahmetechnik angewandt wird — wie es eben hier geschehen ist, dann kann es geschehen, daß selbst die unsterbliche Musik eines Mozart durch die Fülle und Wirkungskraft der Bilder in den Hintergrund gedrängt wird. Es gibt Kritiker, die meinen, daß diese Gefahr schon im vorliegenden Werk erkennbar geworden ist.

Die Fülle und Schönheit des Gebotenen läßt allerdings bei den Zuschauern Bedenken solcher Art kaum aufkommen. Bergman und seinem Meisterphotographen Sven Nykvist (der Kameramann hinter fast allen großen Bengmanfilmen!), ist es gelungen, dem Märchenspiel das große Publikum zu gewinnen. Niemals zuvor waren die Sprache, der Gesang, die Handlung, das ganze Bühnenbild dem Zuschauer so nahe wie in dieser Femsehoper. Eine einmütige Kritik ist überrascht davon, welche zusätzlichen neuen Werte Bergman der Rolle des Papageno zu geben vermochte, wie rührend und ergreifend Pamina doch in der Großaufnahme erscheinen kann, in welch neue Dimensionen er Sarastro zu heben vermochte. Die Rolle des Oberpriesters war eine der großen Überraschungen. Und jeder Schritt der Handelnden, jede Nuance war genau dem kleinen Fermsehsohirm angepaßt, war in eine neue Bildsprache übersetzt worden, und erhielt dadurch eine Wirkungskraft, von der Mozart und Schikaneder nicht einmal träumen konnten.

Bergman hatte das Glück, genau jene Künstler zu finden, die sein Werk verlangte. Österreich, Deutschland, Schweden, Norwegen und Dänemark steuerten Begabungen bei, von denen ein internationales Publikum sicher überrascht sein wird. Es gab Kritiker, die bekannten, daß sie zum erstenmal in ihrem Leben eine Oper wahrhaft mitzuerleben vermochten: „Bergman hat mich dazu gebracht, einer Oper voll und ganz zuzustimmen! Figuren wurden Fleisch und Blut. Die Vorstellung vibriert von Leben. Verführerisch schöne Bilder rauschen vorbei. Künstler geben alles, was sie zu geben vermögen... War das wirklich zu teuer? Diese Oper war ihren Preis wert! Sie ist kein Werk, das vorüberflimmert und dann rasch vergessen wird. Dieses Werk wird wieder und wieder gezeigt werden, viele, viele Male...“ So schrieb einer, der bisher sowohl der Oper als Kunstwerk als auch Bergman als Theatermann skeptisch gegenübergestanden war. Und ein anderer: „Nach dieser Vorstellung ist die Oper nicht mehr das, was sie noch vorgestern war. Diese .Zauberflö'te' von Bergman zieht einen Trennungsstrich; nach ihm brauchen wir an diesem Medium Fernsehen nicht mehr zu verzweifeln: eine Verzauberung ist gelungen!“

Ein Moment von vielen überraschenden: Bergman läßt die Wirkung der Ouvertüre in einer Reihe von Gesichtern widerspiegeln und verharrt dann während des ganzen Spieles beim Gesicht eines jungen Mädchens, dessen Bild am nächsten Tag in allen Zeitungen des Nordens zu finden war. Dänemark und Norwegen übernahmen die Sendung am gleichen Tag, Finnland und Island werden sie in Kürze ausstrahlen. Mit Holland, Frankreich, Deutschland und Großbritannien finden Verhandlungen wegen der Übernahme statt; in den USA wird das Werk in den Kinos laufen; die „Zauberßlöte“ in Bergmains Fassung wird ihren Weg um die Welt nehmen. Haffmtlich auch nach Österreich ... Martin Grill, Stockholm

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung