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Ja, Gleichheit geht auf Kosten der Freiheit!

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Anläßlich des 60. Geburtstages von Christian Broda erschien im Europaverlag eine Festschrift, zu der auch der Klubobmann der sozialistischen National- und Bundesräte, Heinz Fischer, einen Beitrag lieferte. In diesem seinen Beitrag, dem Fischer den Titel „Gleichheitsprinzip und Gesellschaftsordnung“ gab, weist er darauf hin, daß der Gedanke der prinzipiellen Gleichheit und Gleichwertigkeit der Menschen das Denken der Philosophen und Gesellschaftstheoretiker ebenso lange beherrscht hat wie Ungleichheit die gesellschaftliche Realität.

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Anläßlich des 60. Geburtstages von Christian Broda erschien im Europaverlag eine Festschrift, zu der auch der Klubobmann der sozialistischen National- und Bundesräte, Heinz Fischer, einen Beitrag lieferte. In diesem seinen Beitrag, dem Fischer den Titel „Gleichheitsprinzip und Gesellschaftsordnung“ gab, weist er darauf hin, daß der Gedanke der prinzipiellen Gleichheit und Gleichwertigkeit der Menschen das Denken der Philosophen und Gesellschaftstheoretiker ebenso lange beherrscht hat wie Ungleichheit die gesellschaftliche Realität.

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Breiten Raum widmet Fischer in seinen Ausführunigen der Frage der Chancengleichheit, wobei er zur Schlußfolgerung kommt, daß viele Menschen nach der Struktur der heutigen Gesellschaft die Chance, die theoretisch wohl vorhanden sei, praktisch gar nicht wahrnehmen könnten. v

Wörtlich äußert sich Fischer dazu wie folgt: „Wenn es in einer Gesellschaft einige ,otoen' und viele .unten' gibt, dann ist eben das Problem der Gleichheit nicht damit erledigt, daß die Auswahl derer, die nach ,oben' gelangen, unter Wahrung des Prinzips der Chancengleichheit erfolgt, sondern es ist zu fragen, wie groß der Unterschied zwischen oben und unten ist, worin er begründet ist und wie er reduziert werden kann.“

Unmittelbar anschließend führt Fischer folgendes aus: „Einen der bekanntesten Versuche dieser Art unternahm die schwedische Sozialdemokratie, die auf ihrem Parteitag im Juni 1968 die Einsetzung einer .Studiengruppe für Gleichheitsfragen' beschlossen hat, deren Bericht unter dem Titel ,Myrdal-Report' veröffentlicht und bekannt wurde. Dort wird versucht, ,über die liberale Gleichheitsforderung hinauszugehen und konkrete Vorschläge ziur Verringerung des Ausmaßes an Ungleichheit in der schwedischen Gesellschaft zu machen.“

Und weiter heißt es: „Die Reaktionen auf diesen konkreten Ansatz waren — und auch insofern hat er seine Funktion voll und ganz erfüllt — außerordentlich aufschlußreich. In Österreich hat •beispielsweise der langjährige Generalsekretär und Parteiobmann der ÖVP, Hermann Withalm, dem Gleicheitsfoericht der schwedischen Sozialdemokratie in einem seiner Bücher ein ganzes Kapitel gewidmet und dann kurz und bündig festgestellt: ,Icli bezeichne die schon verwirklichten Programmpunkte und den größten Teil dessen, was der Alva-Myrdal-Report an Vorschlägen enthält, nicht als Möglichkeit zur Herstellung einer größeren Gleichheit der Menschen, sondern schlicht und einfach als Gleichmacherei. Alles, was der Förderung des Individuums und des Freiheitsraumes des einzelnen Menschen dienen könnte, wird nicht nur nicht gefördert, sondern mit allen Mitteln und Möglichkeiten zu verhindern versucht. Hingegen gilt jede nur denkbare Förderung dem Kollektiv. Alles ist darauf abgestellt, das kollektive Denken, beginnend bereits im Kindergarten und in der Volksschule, zu fördern'.“

Vor der „Französischen Revolution“?

An dieses Zitat knüpft Fischer die folgende Bemerkung: „Solohe Urteile 'beweisen, daß sich in bestimmten Teilen unserer Gesellschaft noch nicht einmal der bürgerliche Gleichheitsbegriff der Französischen Revolution voll durchgesetzt hat, sondern daß dort noch ältere Denifcmuster nachwinken. Charakteristisch für solche Denkmuster ist zunächst die Vorstellung, daß Freiheit und Gleichheit Antinomien seien, daß also mehr Gleicheit nur auf Kosten von weniger Freiheit und mehr Freiheit nur auf Kosten von weniger Gleichheit verwirklicht werden könne.“

Doch hier bin ich bei einem Punkt angelangt, wo die theoretische Auseinandersetzung zwischen Fischer und mir infolge von Ereignissen, die sich in jüngster Zeit im sozialisti-Musterland Schweden zugetragen haben, völlig überflüssig wird und

wo die Diskussion eigentlich ganz von selbst ein Ende findet.

Wie sagte doch Fischer? „Dort wird versucht, über die liberale Gleichheitsforderung hinauszugehen und konkrete Vorschläge zur Verringerung des Ausmaßes an Ungleichheit in der schwedischen Gesellschaft au machen.“

Wie schauen nun diese konkreten Vorschläge und wie schaut das Ergebnis der Bemühungen der schwedischen Sozialdemokraten zur Verringerung der Ungleichheit in der schwedischen Gesellschaft tatsächlich aus?

Und damit bin ich beim Fall Ingmar Bergman.

Idh brauche wohl nicht zu betonen, daß ich weder für den überzeugten Sozialdemokraten noch für den Regisseur Ingmar Bergman besondere Sympathien empfinde. Warum sollte ich auch? Seine politischen Auffassungen liegen mir ebenso ferne wie seine künstlerischen.

Und doch steht eines, wie immer man ziu seinem Werk und zu seinen Auffassungen stehen mag, fest: daß er unlbestrittenermaßen die schwedische Filmkunst in der ganzen Welt zu einem Begriff gemacht hat.

Mehr Steuern als Einkünfte

Es geht also hier keineswegs um Sympathie oder Antipathie für eine bestimmte Person, sondern um einen Fall, der für jeden Menschen, dem die Freiheit des Individuums etwas bedeutet, geradezu ein Fanal darstellen muß.

Angewidert und angeekelt von der Behandlung, die ihm, dem überzeugten Sozialdemokraten, in seinem Heimatland Schweden widerfahren ist, hat Bergman den mittlerweile bereits realisierten Entschluß gefaßt, dem Land, in dem er geboren wurde, dem er nach allen seinen Kräften bestens zu dienen bemüht war und dessen Ansehen in der Welt er bestimmt nicht geschadet hat, daß es Ingmar Bergman zu seinen Söhnen zählen konnte, den Rücken zu kehren.

Es ging Bergman offensichtlich gar nicht so sehr darum, daß die •schwedische Finanabürokratie von ihm mehr an Steuern verlangte, als er überhaupt verdient hatte — obwohl diese Tatsache allein schon so absurd und grotesk ist, daß sie kaum zu begreifen und für einen normalen Menschenverstand einfach unfaßbar zu sein scheint — sondern es ging Ingmar Bergman ganz augenscheinlich darum, daß man ihn darüber hinaus als angeblichen Steuer-hinterzieher wie einen gemeingefährlichen Verbrecher behandelte.

Nicht viel besser als Bergman erging es der bekannten Schauspielerin Bit Andersson und der Schriftstellerin Sigrid Lindgren.

Die Meldungen in den Zeitungen, wonach Sigrid Lindgren für vereinnahmte Honorare in Höhe von zwei Millionen Kronen mehr als 2 Millionen Steuern vorgeschrieben wurden, sind unwidersprochen geblieben.

Es drängt sich wohl jedermann, der mit solchen Nachrichten aus dem sozialdemokratischen Musterland Schweden konfrontiert wird — hof-

fentlidh —, wenn er nicht endgültig und rettungslos vom sozialistischen Bazillus befallen ist, die Frage auf, ob denn diese Praktiken, wie sie ein Ingmar Bergman, eine Bibi Andersson und eine Sigrid Lindgren am eigenen Leib zu verspüren bekamen, tatsächlich der Inbegriff und das endgültige Ergebnis der Gleichheitspolitik der schwedischen Sozialdemokraten sein können.

Wenn dieses Ergebnis womöglich wirklich darin besteht, daß diejenigen, die ihrem Vaterland nicht nur keine Schande gemacht, sondern viel eher dazu beigetragen haben, es in der Welt bekannt zu machen, ihr Land — sicher nicht leichten Herzens — verlassen, wenn dies darüber hinaus noch Menschen tun, die sich ihr ganzes Lehen lang als Sozialdemokraten bekannt haben und die durch ihre Stimmenabgabe für die sozialdemokratische Partei nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, daß sie heute keinen anderen Ausweg als den der Emigration sehen, dann scheint mir dies der überzeugendste und der schlagendste Beweis dafür ziu sein, daß Schweden naoh über 40jähriger sozialdemokratischer Herrschaft keineswegs jenes so gepriesene und immer wieder zur Nachahmung empfohlene Paradies ist, in dem Freiheit und Gleichheit als die höchsten Güter des Menschen ihre sichere und bleibende Heimstatt gefunden halben.

Vielmehr scheint mir dieses sozialistische Paradies Schweden ein Land mit einer Gesellschaftsordnung zu sein, deren öde und systematische Gleichmacherei es zustaradebringt, letzten Endes gerade die Besten geradezu mit Gewalt und zum großen Schaden für Volk und Land aus dem eigenen. Vaterland zu vertreiben und sie zu Emigranten zu machen.

Ich kann mich sehr wohl in die Rolle derjenigen versetzen, denen dieses harte Schicksal zuteil wurde, ein Schicksal, das vor allem deshalb als besonders hart und tragisch empfunden werden muß, weil die unmittelbar Betroffenen sich keineswegs nur für sich und ihren persönlichen Vorteil bemüht haben, sondern weil sie darüber hinaus auch im Interesse des Ansehens ihres Vaterlandes und schließlich auch für ihre Ideologie versucht haben, ihr Bestes zu geben.

Die Linke mißt mit zweierlei Maß

In einem Absohiedstorief, den Bergman an das Boulevardblatt ,,Ex-pressen“ richtete, stellt er seinen Entscheid, Schweden endgültig zu verlassen, als Bruch mit einer Umgebung dar, die ihm nicht mehr die

notwendige Arbeitsruhe und Sicherheit gewährt habe.

In diesem Zusammenhang drängt sich mir — und wie ich hoffe, vielen anderen auch — ganz unwillkürlich die folgende Frage auf: Ist es eigentlich nicht nur erstaunlich, sondern geradezu unbegreiflich, was, sich in einem seit über 40 Jahren sozialdemokratisch regierten Land da alles ereignen kann, ohne daß es in der freien Welt auch nur im entferntesten jene Aufmerksamkeit fände und jene Reaktionen auslöste, mit denen ohne jeden Zweifel und mit geradezu tödlicher Sicherheit vor allem auf Seiten der Linken gerechnet werden könnte, wenn gleiches oder auch nur ähnliches sioh in Ländern ereignete, in denen andere . als sozialistische Kräfte die Regierungsverantwortung tragen?

Der Fall Bergman ist eben nur wieder einmal ein typisches Beispiel mehr dafür, daß Fälle der gleichen Art, wo immer sie sich ereignen mögen, keineswegs mit dem gleichen Maßstab gemessen werden.

Dadurch ist neuerlich unter Beweis gestellt, daß die Linke — wo immer auf dieser Welt — mit zweierlei Maß zu messen beliebt. Hätte sich ein gleicher oder auch nur ein ähnlicher Fall etwa in Frankreich oder in den Vereinigten Staaten oder auch in Österreich während der Al-leinregierungszeit der ÖVP ereignet, dann hätte es einen Sturm der Entrüstung, es hätte Demonstrationen und die Forderung nach Rücktritt der Verantwortlichen gegeben. Im Fall Bergman jedoch, der sich im sozialistischen Schweden ereignete, war auoh nicht der leiseste Ton eines Protestes oder der Kritik aus dem Lager der Linken, die sich sonst soviel darauf zugutehäit, als der einzig wahre Verteidiger der Freiheit und Gleichheit -des Menschen aufzutreten, zu vernehmen.

Heinz Fischer hat durchaus recht, wenn er von „älteren Denkmustern“ spricht. Er ist allerdings völlig im Unrecht, wenn er glaubt, die veralteten Denkmuster bei sogenannten konservativen Kreisen ansiedeln zu müssen.

Für denjenigen, der Augen hat, zu sehen und der Ohren hat, zu hören, ist es gar nicht so schwierig, festzustellen, wo sie wirklich angesiedelt

sind.

Ich kann abschließend nur eines — und das mit aller gebotener Eindringlichkeit — sagen: aus dem Fall Ingmar Bengmian können gerade die Österreicher eine ganze Menge lernen — wenn sie sehen und wenn sie hören wollen.

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